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G. Kandalaft: Handelsrichter und Civil Juries

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Die Dissertation, die von der Universität Trier angenommen wurde, schließt eine Lücke der beklagenswert raren Tatsachenkenntnisse über die Zusammenarbeit zwischen ehrenamtlichen und Berufsrichtern, hier im Bereich der Handelsgerichtsbarkeit. Zwei große Felder umfasst die Arbeit: zum einen eine Umfrage bei – damals – sämtlichen 115 deutschen Landgerichten, an der 96 Vorsitzende einer Kammer für Handelssachen (KfH) und 271 Handelsrichter teilnahmen; zum anderen wurde ein Vergleich der Beteiligung der Zivilgesellschaft an der handelsgerichtlichen Rechtsprechung in Deutschland, der Schweiz und den USA vorgenommen. Die Grundfrage ist in allen drei Systemen, inwieweit juristisch nicht vorgebildete Personen überhaupt einen Beitrag zur Entscheidung eines Rechtsstreites leisten können. Der Spannungsbogen der Antworten reicht dabei von „gar nicht, weil die Komplexität der Rechtsfragen immer weiter zunimmt und nur wenige tatsächliche Fragen streitig sind“ über „in Wertungsfragen sind die Praktiker durchaus hilfreich“ bis zu „wertvoll, weil der Vorsitzende bei der Einführung in den Sachverhalt schon im Hinblick auf die Parteien strukturieren muss und eine Kammer psychologisch einen nachhaltigeren Eindruck bei den Parteien macht als der Einzelrichter“. Wenn Fragen aus dem wirtschaftlichen und kaufmännischen Bereich im Vordergrund stehen, werden Handelsrichter zur Aufklärung und Feststellung von Tatsachen ebenso geschätzt wie zur Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe wie „unverzüglich“, „wichtiger Grund“ und „ordentlicher Geschäftsgang“ aus der gelebten Praxis. Thematisiert wird auch die Alleinentscheidung des Vorsitzenden der KfH nach § 349 GVG, wonach er in den Fällen des Absatzes 2 grundsätzlich allein entscheidet, nach Absatz 3 „auch im Übrigen“, wenn das Einverständnis der Parteien vorliegt. Daher wird inzwischen in der überwiegenden Zahl der handelsrechtlichen Streitigkeiten, die vor eine KfH gebracht werden, ohne Mitwirkung der Handelsrichter entschieden.

Der internationale Vergleich zeigt vor allem bei der Berufung der ehrenamtlichen Richter Unterschiede auf. In den USA sind keine Erfahrungen in Zivilsachen erforderlich; jeder Bürger kann durch Los in eine Civil Jury berufen werden, weil eine Jury vorrangig als „Bollwerk gegen Tyrannei und Korruption“ angesehen wird. In Deutschland ist die Kaufmannseigenschaft erforderlich – aber auch ausreichend –, während in der Schweiz die Handelsrichter branchenspezifisch berufen werden. In der Civil Jury ist eine Abgrenzung von Tatsachen- und Rechtsfragen zu erkennen, sodass die Kompetenzverteilung zwischen den Entscheidungsträgern – Berufsrichter und Juror – eine Rolle spielt. Ebenso wie in Deutschland sei in den letzten Jahren ein starker Rückgang hinsichtlich der Nachfrage seitens der Parteien zu verzeichnen. Aus dem schweizerischen System der Handelsgerichtsbarkeit und der dort praktizierten fachlichen Zuordnung von Handelsrichtern auf die zu entscheidenden Fälle leitet die Autorin einen Reformvorschlag für das deutsche System ab. Nach dem sog. Matching-Verfahren könnte eine gezielte Zuteilung der Handelsrichter nach fachspezifischer Erfahrung und entsprechender Auswahl vorgenommen werden. Zur besseren Auslastung empfehle sich die Einrichtung von (überregionalen), nach Wirtschaftsbranchen spezialisierten KfH. Auch die aus der Befragung zitierten Äußerungen der Handelsrichter betreffen Reformvorschläge, insbesondere zur Beibehaltung der Kammerbesetzung bei Fortsetzungsterminen, mehr Zeit und bessere Möglichkeiten zur Vorbereitung auf das Verfahren wie digitaler Zugang zu Akten, Weiterbildung zur Erlangung von verfahrensrechtlichen Grundkenntnissen, Ausbau von Mediation und Schlichtung sowie Anpassung der Aufwandsentschädigung.

In einem Nebenarm der Untersuchung vergleicht die Autorin die Handelsrichter mit den ehrenamtlichen Richtern in der Arbeitsgerichtsbarkeit durch Vertreter der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite, mit einem Blick auf die Besetzung dieser Gerichte auch in Großbritannien und Frankreich. Die Vergleiche zeigen das Potenzial auf, in denen die ehrenamtliche Beteiligung eher ausgeweitet als eingeschränkt werden kann. So nehmen in der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit die ehrenamtlichen Richter an der obligatorischen Güteverhandlung nicht teil, während Handelsrichter gerade in der Güteverhandlung, die der streitigen Verhandlung – wie im arbeitsgerichtlichen Verfahren – vorgeschaltet ist, eine besondere Rolle als Vergleichs-Bereiter haben.

Der besondere Wert dieser Dissertation liegt darin, dass sie ein breites Spektrum von Meinungen aus Wissenschaft und Praxis zusammenstellt, somit eine faktenbasierte Diskussion fördert. Dabei wird deutlich, dass Auffassungen von Berufsrichtern auch den Blick auf die Einschätzung der eigenen Bedeutung zulassen, die in dem Juristen allemal den besseren Entscheider sehen. Praktische Momente wie „Man will auch nach dem Streit noch Geschäfte miteinander machen“ werden in der reinen Rechtsbetrachtung des Falles oft vernachlässigt. Die Arbeit zeigt durch internationale Vergleiche und praktische Hinweise – vor allem der Handelsrichter – den Weg zu strukturellen Verbesserungen der Beteiligung ebenso auf wie zur Qualitätssteigerung der Rechtsprechung insgesamt. Sie führt damit über die vielfach eher mildtätige Ansicht der Einführung der „Meinung des Volkes“ zur professionellen Verbesserung der Rechtsprechung durch die von ihr Betroffenen. (us/hl)


Zitiervorschlag: Ursula Sens/Hasso Lieber, G. Kandalaft: Handelsrichter und Civil Juries [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 4, S. 169-170.

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