×

S. Eckardt: Das ultima ratio-Prinzip im Strafrecht

Dass das Strafrecht wegen seiner besonderen Eingriffsintensivität nur als Ultima Ratio, als letztes Mittel staatlichen Handelns zum Einsatz kommen soll, ist ein wohlfeiler Satz, den jeder Strafrechtler in seinem Repertoire führt. Das Handeln des Gesetzgebers steht seit langem diesem Grundsatz diametral entgegen. Die Strafbarkeit des Besitzes von Sexpuppen mit kindlichem Aussehen (§ 184l StGB) oder die Debatte um die Strafbarkeit des sog. Catcallings (anzügliches Rufen, Reden, Pfeifen oder sonstige Laute im öffentlichen Raum) zeigen, dass sich das Strafrecht schon seit geraumer Weile wieder im Bereich der Moral bewegt. Mit der Untersuchung der Neuregelungen der §§ 113, 114 StGB (Widerstand bzw. tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte) nimmt der Verfasser mit seiner Dissertation ein Rechtsgebiet in den Blick, bei dem die Sympathien des durchschnittlichen Beobachters durchaus bei der Verschärfung von Tatbestand und Sanktion liegen.
Die Geschichte der Normen weist seit über 150 Jahren eine beständige Erweiterung und Verschärfung auf. Mit der 2017 vorgenommenen Änderung wird der tätliche Angriff aus § 113 StGB herausgenommen und als eigenständige Tat in § 114 StGB mit einem höheren Strafrahmen geregelt. Diese Verschärfung misst der Verfasser am Ultima Ratio-Prinzip. Messlatte dieser Prüfung ist dabei zum einen der maßvolle Einsatz von Sanktionsmöglichkeiten, zum anderen das Fehlen anderer, ggf. milderer Mittel – ein pragmatischer, an den negativen Auswirkungen der Freiheitsentziehung orientierter Ansatz. Bei der Auswertung der Strafrahmen der §§ 113, 114 StGB kommt der Verfasser zu dem Ergebnis, dass deren Höchstmaß kaum erreicht werden kann, ohne dass sowieso eine andere Norm mit höherem Strafrahmen zur Anwendung käme – etwa aus dem Bereich der Körperverletzungsdelikte. Die Auswertung insbesondere bei Urteilen nach § 114 StGB hat zum Ergebnis, dass die Norm im Vergleich zu anderen Delikten gerade die Verurteilung zu kurzen Freiheitsstrafen (bis zu drei Monaten) erhöht hat, obwohl § 47 StGB – als Ausprägung des Ultima Ratio-Prinzips – diese nur für den Ausnahmefall vorsieht. Insoweit richtet sich der Appell des Verfassers konkret an die Rechtsprechung bei der Strafzumessung – und somit an die Schöffen, jedenfalls soweit sie mit den Verfahren befasst sind und diese nicht vom Einzelrichter „abgeräumt“ werden. Die Untersuchung hat damit eine auch in der alltäglichen Anwendung des Strafrechts wichtige Funktion, nämlich der Erinnerung der Gerichte daran, nicht jedem Narrativ der Notwendigkeit härterer Strafen pauschal nachzukommen. (hl)

Über die Autoren

Copyright © 2024 laikos.eu