B. Hesse: Die letzte Baustelle
Bernd Hesse: Die letzte Baustelle. Wahre Kriminalfälle. Berlin: Das Neue Berlin 2023. 239 S. ISBN 978-3-360-02755-9, € 16,00
Der Autor betreibt eine Anwaltskanzlei in Frankfurt/Oder und Berlin und ist auf Wirtschafts-, Arbeits- und Strafrecht spezialisiert; vorwiegend ist er als Strafverteidiger tätig. Sein Spektrum spiegelt sich in den neun Fällen wider, in denen es um Mord, Betrug, Raub und Drogenhandel geht. Die Geschichten erzählen menschliche Schicksale und die Hintergründe der Straftaten, ohne die Opfer zu vernachlässigen. Die Taten spielen sich in unterschiedlichen Milieus ab – von der Obdachlosenszene bis in die Chefetagen größerer Unternehmen. In der titelgebenden und längsten Geschichte sollen ein Bauunternehmer und sein Bauleiter einen Auftragsmord erteilt haben. Die Details reichen von der Begehung der Straftat über die Ermittlungen und die Verurteilung wegen Anstiftung bis zur Auslieferung des Mörders nach seiner Festnahme in Indien.
Dabei wird ein Grundproblem deutlich: Wer arm und mittellos ist, landet schneller im Knast als ein begüterter Mensch. In dem Fall „Erst hat man kein Glück und dann kommt auch noch Pech dazu …“ erläutert der Autor das bei Bagatelldelikten gängige Strafbefehlsverfahren, mit dem eine – im Vergleich zur Freiheitsstrafe eigentlich mildere – Geldstrafe auferlegt wird. Wer diese aber nicht bezahlen kann, muss stattdessen eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen. In dem geschilderten Fall hatte Horst drei Tage Hausverbot in seiner Obdachlosenunterkunft. Was soll er – hungrig und schmerzgeplagt – also anderes tun, als Lebensmittel im Supermarkt zu klauen und sich einen warmen Schlafplatz zu suchen? In dieser Geschichte gelingt es dem Autor, auf einfache Weise durch innere Monologe die unterschiedlichen Denkweisen des bürgerlichen Lesers und der Vorstellungswelt des Gescheiterten deutlich zu machen. Der „Gefährder“ im polizeilichen Jargon fängt für Horst beim Terroristen an, nicht beim unerlaubten „Saufen“ im Obdach. Was für ihn ein bloßer Schlafplatz im Kindergarten war, ist für die Tagespresse ein eingeschlafener „Einbrecher“. Der Raub mit der Spielzeugpistole ist für ihn – und objektiv – ungefährlich, subjektiv löst er Todesangst beim Opfer aus, was von der Haftrichterin entsprechend gewürdigt wird. Die Blicke ins Innere der Täter im Widerspruch zur äußeren Wahrnehmung der Tat machen deutlich, welchen Anforderungen Strafrichter – und Schöffen – eigentlich ausgesetzt sind. Diese Fälle (und die Menschen) angemessen zu be- und verurteilen ist oft unspektakulär – für alle Betroffenen aber von eminenter Bedeutung. Deshalb entfaltet die Geschichte eine Spannung ganz eigener Art – nicht handlungsbezogen (Was passiert als nächstes?), sondern erwartungsbezogen (Wie löst sich der Konflikt gerecht auf?). (hl)
Zitiervorschlag: Hasso Lieber, B. Hesse: Die letzte Baustelle [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 2, S. 93.