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M. Bönnemann (Hrsg.): Kleben und Haften

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Nach einem Dornröschenschlaf von rund vier Jahrzehnten wird eine Diskussion wiederbelebt, die ihren Kulminationspunkt in den Blockaden von Kasernen erlebte – die Proteste gegen den sog. NATO-Doppelbeschluss. Die rechtliche Einordnung des „Zivilen Ungehorsams“ ist weiterhin umstritten, vor allem weil sich die aktuellen unmittelbaren Maßnahmen und Auswirkungen dieses Ungehorsams nicht gegen die (verantwortlichen) staatlichen Institutionen richten, sondern von Mitgliedern der Zivilgesellschaft gegen die Zivilgesellschaft – gleichgültig ob Staus auf der Autobahn provoziert oder Kulturdenkmäler mit Farbe beschmiert werden. Auf diesen grundlegenden Widerspruch weist der Herausgeber schon in der Einleitung hin. Daran schließt sich ein Konvolut strafrechtlicher Beiträge an von der Frage der tatbestandlichen Erfüllung einer Nötigung über deren Rechtfertigung „für die gute Sache“ bis hin zur kritischen Auseinandersetzung mit der Frage, ob der organisierte Ungehorsam als kriminelle Vereinigung zu werten ist. Zu Recht mahnen einige Autoren (allen voran Gärditz) vor ideologischer Überhöhung, die man dann auch zweifelhafteren Meinungen und Personen nicht verweigern könne, sowie vor einer generalisierenden Einteilung der Urteile in „richtig“ und „falsch“ (Wiedmann). Dies würde – wenn man den Gedanken konsequent zu Ende denkt – in eine Rechtsprechung des „Erlaubt ist, was gefällt“ münden. Ist das Ziel konsensfähig, wäre der Ungehorsam erlaubt; ist das Ziel zweifelhaft, ist er strafbedroht, was die Strafbarkeit eines Tuns von einer ideologischen Vorfrage abhängig macht. Der Wert der Sammlung von Meinungen, die zuvor auf dem Verfassungsblog unter dem Diskussionsmotto „Kleben und Haften“ erschienen sind, und die strafrechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit auszuloten, liegt in der Bandbreite, die nicht in dem allfälligen „entweder – oder“, sondern dem „sowohl als auch“ gewidmet ist. (hl)


Zitiervorschlag: Hasso Lieber, M. Bönnemann (Hrsg.): Kleben und Haften [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 2, S. 92.

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