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A. J. Mayr: Die Strafbarkeit juristischer Personen als Strafe für fremde Schuld

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Das Werk behandelt ein häufig diskutiertes und mit wenig Lösungswillen versehenes Problem, das im Wirtschafts(straf)recht angesiedelt ist. Kann (und soll) sich Strafrecht auch gegen juristische Personen, insbesondere wirtschaftliche Unternehmen richten? Unter Wirtschaftskriminalität werden gemeinhin Straftaten unter Benutzung eines Unternehmens verstanden. Dabei erschweren die Konstruktion der juristischen Person und der Zuständigkeiten der handelnden natürlichen Personen den Nachweis, wer für die Herbeiführung eines strafrechtlich relevanten Erfolges (Betrug, Steuerhinterziehung, Anlage- und Insolvenzdelikte usw.) verantwortlich ist. Die Schwierigkeit, aus dem Zusammenwirken vieler Personen den strafrechtlich relevanten Spiritus Rector herauszufiltern, führt zu der Überlegung, das Unternehmen als Ganzes – als juristische Person – in Haftung zu nehmen. Anders als das Zivilrecht kennt das deutsche Strafrecht keine Verantwortlichkeit von Unternehmen. Dagegen haben England und Wales, Frankreich sowie die USA ein sog. Unternehmensstrafrecht. Zu Beginn der Arbeit des Autors an seiner Dissertation hatte das Thema einen aktuellen rechtspolitischen Bezug, da die Vereinbarung der Großen Koalition im 19. Deutschen Bundestag ein Verbandssanktionengesetz1 vorsah; auch die NRW-Landesregierung arbeitete an einem solchen Projekt. Beide Entwürfe haben als Gesetz nicht das Licht der Welt erblickt. Die Bestrafung des Unternehmens für das Handeln seiner Organe sei – so referiert der Autor – eine Haftung für fremde Schuld, die gegen den Grundsatz „nulla poena sine culpa“ (Keine Strafe ohne Schuld) verstoße, der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsgleichen Rang besitzt. Schuld sei höchstpersönlich; man könne sie nicht auf andere Personen übertragen, um sie daraus zu bestrafen. Diese These und die ihr widersprechenden Auffassungen analysiert der Autor hinsichtlich der Geltung für Unternehmen sowohl nach deutschem Recht als auch rechtsvergleichend mit dem Recht der genannten Staaten. Auch dort gelte dieser Grundsatz, von dem aber zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, der Verteidigung der Gesamtgesellschaft oder zur Erleichterung des Beweises für eine effiziente Strafrechtspflege eine Ausnahme gemacht werde.
Den Einwand, Handlungen natürlicher Personen in den Organen eines Unternehmens seien immer auch Handeln der juristischen Person selbst, negiert der Autor als reine Fiktion. So kommt er im Ergebnis zur Unmöglichkeit einer Schuld juristischer Personen. Für von krimineller Unternehmensführung Betroffene denaturiert der Schuldbegriff damit zum Schutzanzug für die Täter. Man denke an die Schwierigkeiten der Aufklärung in den Wirecard-Verfahren, in denen sich der Eindruck verfestigte, dass schlussendlich die kriminellen Handlungen der überwiegende Unternehmenszweck waren. Gleichwohl hat die Zuspitzung der These des Autors einen positiven Nebeneffekt. Sie führt zu der Überlegung, ob zur Sanktionierung gegenüber dem Unternehmen das Strafrecht überhaupt erforderlich ist oder diese nicht in Prävention wie Repression genauso gut im Ordnungswidrigkeitenrecht angesiedelt werden kann. Als Sanktion gegenüber der juristischen Person – die man nicht einsperren kann – kommen ohnehin nur Geldzahlungen und Ordnungsmaßnahmen von der Gewinnabschöpfung bis zur Umstrukturierung oder Liquidation eines Unternehmens in Betracht. Man muss sich allerdings von der Vorstellung lösen, dass Ordnungswidrigkeiten meist lediglich auf menschlichen Schwächen gegenüber der öffentlichen Ordnung beruhen durch Nachlässigkeit, Unzuverlässigkeit oder Bequemlichkeit. Auch die absichtliche Ordnungswidrigkeit ist denkbar. Die Diskussion in diese Richtung zu lenken, ist ein Verdienst der Dissertation. (hl)


Zitiervorschlag: Hasso Lieber, A. J. Mayr: Die Strafbarkeit juristischer Personen als Strafe für fremde Schuld [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 2, S. 91-92.

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