S. Kneip (Red.): In guter Verfassung?
Sascha Kneip (Red.): In guter Verfassung? Aus Politik und Zeitgeschichte 74 (2024), Heft 9-11, 45 S.
Sechs Themen des Verfassungsrechts und der Verfassungspolitik widmet die Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ dem Verfassungsjubiläum. Für Feierlichkeiten sehen Autoren und Redaktion aber keinen Anlass. Dieter Grimm, ehem. Bundesverfassungsrichter, beschreibt und analysiert das Grundgesetz aus historischer Sicht mit den jeweils thematisch aktuellen Herausforderungen: vom Lernen aus der Weimarer Verfassung über die neuen Mechanismen – wie das Bundesverfassungsgericht – bis zur Flexibilität der Verfassung, die sich gerade heute neuen Herausforderungen stellen muss. Es bleibt bei der Weimarer Erkenntnis: Die beste Verfassung ist nichts ohne Demokraten. Den Gedanken greifen Baer/Marandi auf, die in der Verfassung ein großes Versprechen sehen, das von der Gesellschaft eingelöst werden muss. Deren Potenziale erörtern sie an den aktuellen Herausforderungen Klima, Meinungsfreiheit, Sexismus, Rassismus und Migration sowie Kinderrechte. Einen Rückblick auf die Vereinigung der beiden deutschen Staaten und die Verfassungsdiskussionen in der DDR vor dem 3. Oktober 1990 wirft Bettina Tüffers. Gesamtdeutsch bestehe die Verfassungsdiskussion aus verpassten Gelegenheiten, die aber ihr Erbe in einigen ostdeutschen Landesverfassungen gefunden habe. Mit der Wehrhaftigkeit der Demokratie setzt sich Jens Hacke auseinander, die als „gefährdete Lebensform“ zu sehen sei, weil ihre Krisen nicht immer auf rationale oder objektive Missstände zurückzuführen seien – ein höchst aktueller Hinweis, wie die rechtsextremen Wahlerfolge zeigen, die keineswegs auf durchweg rechtsextreme Wähler schließen lassen. Mit dem in der Diskussion aktuellsten Menschenrecht (auf Asyl) befassen sich Pelzer/Pichl, indem sie die Vorschläge zur Begrenzung (Obergrenze, Ausschluss von Sozialleistungen, Außengrenzen) analysieren und bei kritischer Betrachtung der Vorschläge hohen Handlungsdruck für eine menschenrechtskonforme Flüchtlingspolitik konstatieren. Mit der globalen Ubiquität der Verfassungskrise befassen sich Fowkes/Hailbronner, die sich in Indien, Brasilien, den USA und Südafrika umsehen – Staaten, die einen hohen Anteil an der Weltbevölkerung haben und autoritäre Tendenzen herausbilden. Europa steht nicht abseits, wie Ungarn deutlich macht. Recht und Gerichte spielen in dieser Entwicklung eine zentrale Rolle, damit auch die ehrenamtlichen Richter als Spiegel der Zivilgesellschaft. Die leichte Beilage serviert ein gewichtiges Thema. (hl)
Zitiervorschlag: Hasso Lieber, S. Kneip (Red.): In guter Verfassung? [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 2, S. 87.