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T. Lammich: Fake News als Herausforderung des deutschen Strafrechts

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Mochte vor einigen Jahren manch einer den Begriff der Fake News noch gar nicht kennen, so ist er heute ebenso zum Allgemeingut geworden wie die Kenntnis von den dahinterstehenden Handlungen und Absichten. Dabei ist die Verbreitung gezielt falscher Nachrichten so alt wie die Geschichtsschreibung. Ob man als weiser Herrscher, der böse Nachbarvölker seinem Reich eingegliedert und assimiliert hat, oder als gieriger Landräuber in die Geschichte eingeht, hängt davon ab, welche Darstellung durchgesetzt werden konnte. Fake News markieren z. B. den Beginn des Zweiten Weltkrieges mit dem fingierten Angriff auf den Sender Gleiwitz. In der digitalen Welt hat die gezielt eingesetzte Falschnachricht Dimensionen von der Aufwiegelung der Massen bis zur Alltäglichkeit in den sozialen Medien angenommen. Ob in der allgemeinen politischen Auseinandersetzung, im Wahlkampf, bei der vorgeblichen Verteidigung der Bürgerrechte gegen Pandemiemaßnahmen, zur Manipulation von Immobilien- oder Kapitalmarkt – die Einsatzmöglichkeiten von Fake News scheinen grenzenlos. Die Dissertation untersucht die Frage des strafrechtlichen Schutzes gegen diese Erscheinung. Dessen Schwierigkeiten beginnen bei der inhaltlichen Bestimmung des Begriffs und setzen sich bei der Erfassung des Einflusses unwahrer Tatsachenbehauptungen und des verursachten Schadens fort.

Soweit auf den strafrechtlichen Schutz abgestellt wird, ist zunächst das geschützte Rechtsgut zu bestimmen. Definiert man beispielsweise die Wahlfreiheit als ein solches Rechtsgut, ist zu klären, inwieweit die Freiheit des Einzelnen bei seiner Wahlentscheidung überhaupt durch die inkriminierte Unwahrheit beeinflusst werden kann. Der Autor prüft weitere Rechtsgüter, an denen ein Schutzinteresse bestehen kann: Ehrschutz, Recht am eigenen Bild, unverfälschte Preisbildung am Kapitalmarkt usw. Dabei berücksichtigt er die besondere Gefährlichkeit, die darin liegt, dass der Zugang zum Tätermaterial – und damit die Eröffnung eines Täterkreises – nahezu unbegrenzt ist. Anders als traditionelle Cyber-Kriminalität erfordert das Verbreiten von Fake News kaum besondere Kenntnisse oder Fertigkeiten. Der Vergleich dieser Bestandsaufnahme mit den Möglichkeiten des Schutzes nach geltendem Recht kommt zu dem Schluss, dass die bestehenden Mechanismen gegenüber Tätern im Internet nur lückenhaften Schutz bieten. So wirft das Recht zur Bekanntmachung der Verurteilung eines Beleidigers oder Verleumders (§ 200 StGB) die Frage auf, ob diese über das Internet bekannt gemacht werden darf. Ist die Herabwürdigung des Geschädigten im Internet geschehen, sieht der Autor unter dem Aspekt der Waffengleichheit kein Problem, eine Verurteilung auch im Netz öffentlich bekannt zu geben. Untersuchungen beim Kredit- oder Kapitalmarktschutz (§§ 187, 264a StGB u. a.), Demokratieschutz (§ 107a StGB) oder beim Angriff auf das friedfertige Gesellschaftsklima zeigen zwar ein prinzipiell vorhandenes strafrechtliches Reaktionsinstrumentarium auf, das aber den Eindruck hinterlässt, vorhandenes wie denkbar neues Sanktionspotenzial müsse im Hinblick auf den Schutz des Geschädigten vor der schieren Quantität der Deliktauswirkungen versagen. Allerdings macht die Arbeit in hervorragender Weise deutlich, an welcher Stelle der Gesetzgeber in naher Zukunft gefordert ist. Der Dialektik des Autors, dass Strafbarkeitslücken ein Grund zur Besorgnis sind, deren Untersuchung aber auch Mut schaffen kann, ist vorbehaltlos zuzustimmen. (hl)


Zitiervorschlag: Hasso Lieber, T. Lammich: Fake News als Herausforderung des deutschen Strafrechts [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 1, S. 50-51.

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