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LAG Niedersachsen: Selbstablehnung, wenn ehrenamtlicher Richter Partei ist

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Sachverhalt: Gegenstand des Verfahrens sind Selbstablehnungsanzeigen beider Richter am Arbeitsgericht H., das aus drei Kammern besteht; die 2. Kammer ist seit Jahren nicht besetzt. Die ehrenamtlichen Richter werden alphabetisch nach einer Liste geladen und können beiden Kammern zugeteilt werden.
Ein Antrag auf Einleitung eines Beschlussverfahrens hat die Ausschließung des Betriebsratsmitglieds C. aus dem Betriebsrat der Antragstellerin zum Gegenstand. C. ist seit dem 1.1.2024 ehrenamtlicher Richter beim Arbeitsgericht H. Der Vorsitzende der 1. Kammer und Direktor des Arbeitsgerichts zeigt an, dass er sich wegen des besonderen Näheverhältnisses zwischen ihm und dem Beteiligten C. ablehne. Gerade bei kleinen Gerichten bestehe zu den ehrenamtlichen Richtern ein engeres Kollegialitätsverhältnis; es könnte der Anschein erweckt werden, dass keine unabhängige Entscheidung getroffen werde. Zudem gehe es um die persönliche kollektivrechtliche Stellung des ehrenamtlichen Richters als Betriebsratsmitglied. Der Vorsitzende der 3. Kammer, zur Entscheidung über die Selbstablehnung berufen, erstattete aus denselben Gründen Selbstanzeige wegen der Besorgnis der Befangenheit. Die Akte wurde zur Entscheidung an das LAG übersandt. Die Selbstanzeigen sind begründet.

Gründe: 1. Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Gründe für ein solches Misstrauen liegen vor, wenn eine Partei bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Es muss die Befürchtung bestehen, dass der abgelehnte Richter in der Verhandlung und Entscheidung des anstehenden Falls sachfremde, unsachliche Momente einfließen lassen könnte und den ihm unterbreiteten Fall nicht ohne Ansehen der Person nur aufgrund der sachlichen Gegebenheiten des Falls und allein nach Recht und Gesetz entscheidet. Entscheidend ist dabei nicht, ob der Richter wirklich befangen ist oder sich selbst für befangen hält, sondern allein, ob aus der Sicht der Parteien genügend objektive Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu erzeugen. Dabei sind restriktive Maßstäbe anzulegen, weil der verfassungsrechtlich verbürgte Grundsatz gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bedingt, dass weder die beteiligten Parteien noch die zuständigen Richter es in der Hand haben, die Besetzung des Gerichts aus anderen als zwingenden gesetzlichen Gründen zu ändern.

2. Gemessen an diesen Maßstäben besteht die Besorgnis einer Befangenheit entsprechend der in der Selbstablehnung aufgeführten bzw. in Bezug genommenen Gründe. Die enge Zusammenarbeit der Richter in einem Kollegialgericht führt regelmäßig zu einer persönlichen Beziehung, die ihre Unbefangenheit in Frage stellt, wenn einer von ihnen selbst als Partei am Rechtsstreit beteiligt ist. Dieses kollegiale Näheverhältnis besteht auch zwischen den Vorsitzenden der arbeitsgerichtlichen Kammern und den ehrenamtlichen Richtern. Dabei ist unerheblich, ob Berufs- und ehrenamtliche Richter mehr oder weniger häufig zusammengearbeitet haben oder zwischen ihnen ein mehr oder weniger enger Kontakt besteht. Entscheidend ist die Zugehörigkeit zu demselben Spruchkörper und die daraus erwachsene beiderseitige Aufgabe der offenen und vertrauensvollen Zusammenarbeit in der Vergangenheit und auch für die Zukunft.

Bei einem Gericht, das lediglich mit zwei Kammern besetzt ist, kann auch dann von einem besonderen Näheverhältnis ausgegangen werden, wenn die ehrenamtlichen Richter keiner festen Kammer zugeordnet sind. Auch bei zwei Kammern ist es möglich, dass zufällig stets eine Ladung zur selben Kammer erfolgt. Die Besorgnis, dass ein solches Näheverhältnis zumindest unbewusste Solidarisierungseffekte auslösen und die Behandlung und Entscheidung der Sache beeinflussen könnte, ist als objektiver und vernünftiger Grund für eine Ablehnung anzuerkennen. Vorliegend kann zumindest der Anschein erweckt werden, dass die Stellung des C. als ehrenamtlicher Richter in die erforderliche Abwägung bei der Entscheidung mit einbezogen werden kann. Aus diesem Grund ist die Selbstanzeige begründet. Der Gesetzgeber hat eine ähnliche Problematik bei Prozessvertretern, die zeitgleich ehrenamtliche Richter bei den Arbeitsgerichten sein können, gesehen und geregelt, dass sie in der Regel nicht als Bevollmächtigte vor dem Spruchkörper eines Gerichts auftreten dürfen, dem sie angehören (§ 11 Abs. 5 Satz 2 ArbGG). Dass der Gesetzgeber eine vergleichbare Regelung für ehrenamtliche Richter, die Partei eines Verfahrens sind, nicht getroffen hat, heißt nicht, dass eine vergleichbare Interessenlage nicht besteht. Damit war der Vorsitzende der 3. Kammer gehindert, über die Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden der 1. Kammer zu entscheiden. Der Vorsitzende der 1. Kammer ist aus denselben Erwägungen wegen der Besorgnis der Befangenheit an der Ausübung des Richteramtes verhindert.

Link zum Volltext der Entscheidung


Zitiervorschlag: LAG Niedersachsen: Selbstablehnung, wenn ehrenamtlicher Richter Partei ist, in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 4, S. 158-159.

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