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OLG Hamm: Streichung von der Schöffenliste statt Amtsenthebung einer Schöffin mit Kopftuch

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  1. Die Weigerung einer nordrhein-westfälischen Schöffin, das aus religiöser Pflicht getragene Kopftuch während der Hauptverhandlung abzulegen, ist ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Justizneutralitätsgesetz NRW (JNeutG NRW).
  2. Der Verstoß stellt keine gröbliche Amtspflichtverletzung dar, sondern einen Grund der Unfähigkeit zur Ausübung des Schöffenamtes nach § 52 Abs. 1 GVG, der die Streichung von der Schöffenliste zur Folge hat. Hierfür ist der geschäftsplanmäßig für die Schöffenangelegenheiten zuständige Richter des jeweiligen Gerichtes zuständig, bei dem die Schöffin ihren Dienst versieht. (Leitsätze d. Red.)

Sachverhalt: Der Vorsitzende des Jugendschöffenausschusses des Amtsgerichts Dortmund hat am 9.2.2024 beantragt, die für die Wahlperiode 2024 bis 2028 gewählte Jugendhauptschöffin T. gemäß § 51 Abs. 1 GVG ihres Amtes zu entheben. Die Schöffin trage aus Bekenntnisgründen ein Kopftuch und werde in der Hauptverhandlung darauf nicht verzichten. Dies verstoße gegen § 2 Abs. 1 JNeutG NRW und stelle eine gröbliche Amtspflichtverletzung dar. Die Schöffin hat im Rahmen ihrer Anhörung erklärt, dass sie keine religiöse oder weltanschauliche Auffassung zum Ausdruck bringen wolle, sondern das Tragen des Kopftuchs als religiöse Pflicht verstehe. Auch ohne Kopftuch sei sie sehr schnell als Muslimin wahrzunehmen. Durch eine kopftuchtragende Schöffin werde die Vielfalt der Gesellschaft abgebildet und die gesellschaftliche Akzeptanz von Gerichtsurteilen erhöht. Der Antrag auf Amtsenthebung war abzulehnen, da die Weigerung, das Kopftuch während der Verhandlung abzunehmen, keine gröbliche Amtspflichtverletzung im Sinne von § 51 Abs. 1 GVG darstellt.

Gründe: Zutreffend ist der Vorsitzende des Schöffenwahlausschusses davon ausgegangen, dass die Weigerung, während der Verhandlung auf das Kopftuch zu verzichten, gegen § 2 Abs. 1 JNeutG NRW verstößt, wonach ehrenamtliche Richter in der Verhandlung keine wahrnehmbaren Symbole oder Kleidungsstücke tragen dürfen, die objektiv eine bestimmte religiöse Auffassung zum Ausdruck bringen. Ob der Verstoß ein Amtsenthebungsverfahren nach § 51 Abs. 1 GVG (wegen gröblicher Amtspflichtverletzung) oder die Streichung von der Schöffenliste nach § 52 Abs. 1 GVG (wegen Unfähigkeit zur Ausübung des Schöffenamtes) zur Folge hat, ist streitig.

Die gröbliche Verletzung der Amtspflichten wird nach Sinn und Zweck von § 51 GVG als Verhalten definiert, das den Schöffen aus der Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten ungeeignet für die Amtsausübung macht, weil er nicht mehr die Gewähr bietet, unparteiisch und nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden. Vorliegend geht es nicht um ein Fehlverhalten der Schöffin, sondern um die Kollision grundrechtlich geschützter Religionsausübung mit den staatlichen Neutralitätsvorgaben bei Ausübung des Schöffenamtes. Es ist nicht Absicht des Gesetzgebers, dass Personen als Schöffen berufen werden, die dauerhaft an der Ausübung des Schöffenamtes gehindert sind. Dies wäre die Folge, wenn das religiöse Kopftuchtragen keine fehlende Eignung für das Schöffenamt, sondern eine gröbliche Amtspflichtverletzung wäre. Bei dem letztgenannten Verständnis wäre eine Schöffin auch in Kenntnis des vorgenannten Umstandes zunächst zu berufen. Anerkannt ist, dass über den Wortlaut von § 52 GVG hinaus auch sonstige Gründe die Unfähigkeit zur Ausübung des Schöffenamtes begründen können.

Der Senat ist aus den vorgenannten Gründen gehindert, die Schöffin nach § 51 Abs. 1 GVG ihres Amtes zu entheben. Zuständig für die Streichung aus der Schöffenliste nach § 52 GVG ist nicht der Senat, sondern der geschäftsplanmäßig für die Jugendschöffenangelegenheiten bestimmte Jugendrichter, hier der Vorsitzende des Schöffenwahlausschusses. Dessen Entscheidung ist gemäß § 52 Abs. 4 GVG unanfechtbar.

Anmerkung: Die Entscheidung des OLG muss kritisch gewürdigt werden. Eine Streichung von der Schöffenliste nach § 52 GVG kommt nur in Betracht, wenn eine der in §§ 31 bis 34 GVG geregelten formalen Voraussetzungen wegfällt. Es wird lediglich festgestellt, dass eine objektive Bedingung für das Amt nicht (mehr) vorliegt bezüglich Staatsangehörigkeit, Verurteilung, Wohnort, Insolvenz usw. Wenn im Wege der Auslegung weitere Fallgestaltungen der Streichung in Frage kommen, muss begründet werden, an welchem ausdrücklich genannten Grund oder allgemeinen Rechtsgedanken der Norm sich diese erweiternde Auslegung orientiert. Der Senat kreiert einen neuen Ausschlussgrund des „Gesetzesverstoßes“, der sich nicht in den §§ 31 bis 34 GVG – und somit nicht in § 52 GVG – widerspiegelt. Eine Amtsenthebung nach § 51 GVG bedarf der Prüfung im Einzelfall, ob a) ein Verhalten des ehrenamtlichen Richters eine Amtspflichtverletzung darstellt, die b) wiederum so schwerwiegend ist, dass der ehrenamtliche Richter des Amtes enthoben wird. Das Recht auf Religionsausübung steht der Pflichtverletzung nicht entgegen, da das JNeutG NRW eine Schranke dieses Grundrechtes bei der Ausübung des Richteramtes darstellt zur Gewährleistung der vorgehenden Pflicht eines Richters zur Neutralität. Beim Verstoß gegen § 2 Abs. 1 JNeutG NRW ist deshalb eine wertende Entscheidung zu treffen, ob das Symbol oder Kleidungsstück bei objektiver Betrachtung eine bestimmte religiöse Auffassung zum Ausdruck bringt, die mit der richterlichen Neutralitätspflicht kollidiert. Die Wertung mag beim religiösen Kopftuch einfach sein und der Beurteilungs- oder Bewertungsspielraum gegen Null gehen. Trotzdem muss die Entscheidung im Einzelfall getroffen werden, um untypische Fälle auszuschließen. Zur Wahrung der Unabhängigkeit der ehrenamtlichen Richter hat der Gesetzgeber mit § 51 Abs. 2 GVG diese Entscheidung über die Amtsenthebung nicht dem Gericht des Schöffen, sondern dem OLG als höherem Gericht zugewiesen. Es war daher selbst zur Entscheidung in der Sache berufen. Nach Information von LTO erhebt die Schöffin Verfassungsbeschwerde zum BVerfG, weil sie die Streichung sowie die Vorschrift des JNeutG NRW für verfassungswidrig hält; der pauschale Ausschluss greife massiv in ihre Grundrechte ein.* (hl)

* Gilt das Neutralitätsgebot auch für Schöffen?, LTO vom 5.7.2024 [Abruf: 15.11.2024]

Link zum Volltext der Entscheidung [Abruf: 15.11.2024]


Zitiervorschlag: OLG Hamm: Streichung von der Schöffenliste statt Amtsenthebung einer Schöffin mit Kopftuch, in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 3, S. 126-127.

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