BFH: Zum Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme; Informationsanspruch
- Das FG ist nicht verpflichtet, den Inhalt der ihm vorliegenden Akten, die es zur Aufklärung des Sachverhalts berücksichtigen will, in der mündlichen Verhandlung zu verlesen oder sonst (ausdrücklich) zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung zu machen.
- Ehrenamtliche Richterinnen und Richter haben ein Recht auf umfassende Information über den Prozessstoff. Diesem Informationsanspruch wird regelmäßig durch den Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung und dem Gespräch während der Beratung Genüge getan. (Leitsätze des Gerichts)
BFH, Beschluss vom 5.8.2022 – VI B 65/21
Sachverhalt: Der Kläger begehrt mit der Beschwerde die Zulassung der Revision durch den BFH. Das FG habe gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen, weil es Behördenakten berücksichtigt habe, ohne „diese Akten oder deren Inhalt verlesen oder sonst zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht“ zu haben.
Rechtliche Würdigung: Das Gericht hat den Beweis in der mündlichen Verhandlung zu erheben (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Richter müssen die für die Entscheidung notwendigen Tatsachen weitestmöglich aus der Quelle selbst schöpfen, d. h. bei mehreren in Betracht kommenden Beweismitteln das nutzen, das den „unmittelbarsten“ Eindruck von dem streitigen Sachverhalt vermittelt. Mittelbare Beweismittel dürfen nur verwendet werden, wenn die Erhebung des unmittelbaren Beweises unmöglich, unzulässig oder unzumutbar erscheint. In Behördenakten protokollierte Auskünfte und Wahrnehmungen Dritter in anderen Verfahren dürfen grundsätzlich im Wege des Urkundenbeweises in den Prozess eingeführt werden, es sei denn, dass sich dem Gericht eine eigene Vernehmung dieser Personen als Zeugen aufdrängen muss.
Das FG ist verpflichtet, den Inhalt der Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (§§ 76 Abs. 1 Satz 1, 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der wesentliche Inhalt der Akten muss in der mündlichen Verhandlung in einer gedrängten Darstellung des Sachverhalts vorgetragen werden.
Hinsichtlich der Information der ehrenamtlichen Richter weist der Senat darauf hin, dass diese nach § 16 FGO bei der mündlichen Verhandlung mit gleichen Rechten wie die Berufsrichter mitwirken. Daraus folgt ein Recht auf umfassende Information über den Prozessstoff. Es ist Sache des Einzelfalls, wie diesem Anspruch Genüge getan wird. Eine Einsichtnahme in die Prozessakten vor der mündlichen Verhandlung ist nicht vorgeschrieben. Im Regelfall sind der Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung (§ 92 Abs. 2 FGO) und das Gespräch während der Beratung ausreichende Grundlage für die Sachinformation der ehrenamtlichen Richter.
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Zitiervorschlag: BFH: Zum Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme; Informationsanspruch, in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 2, S. 80.