OLG Hamm: Befreiung von Hauptverhandlung
Ob einem Schöffen eine Dienstleistung zugemutet werden kann, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Bereits gebuchter Erholungsurlaub eines Schöffen stellt in der Regel einen Umstand dar, der zur Unzumutbarkeit der Dienstleistung führt. (Leitsatz d. Red.)
OLG Hamm, Beschluss vom 12.5.2022 – 5 Ws 114/22
Sachverhalt: Der Vorsitzende des Schwurgerichts hatte den Termin für die Hauptverhandlung mit neun Fortsetzungstagen bestimmt. Es wurden zahlreiche Zeugen und ein Sachverständiger geladen, sodass für sämtliche Termine ein Beweisprogramm vorgesehen war.
Die Hauptschöffin B hat mitgeteilt, sie befinde sich an zwei Verhandlungstagen im Urlaub. Den Termin habe sie bereits mitgeteilt. Sie werde sich „in der mitgeteilten Zeit“ in einem bereits gebuchten Familienurlaub in Spanien befinden, der aufgrund der Berufstätigkeit ihres Ehemannes nicht verschiebbar sei. Der Vorsitzende entpflichtete die Schöffin. Aufgrund eines Versehens trug er in die Begründung als Sitzungstage den Tag der Abreise und der Rückkehr der Schöffin ein.
Die dann geladene Hilfsschöffin A hat mitgeteilt, dass sie sich an vier Tagen im Zeitraum der Verhandlung mit ihrem Sohn anlässlich seines Geburtstags im Urlaub in Italien befinde, und eine Buchungsbestätigung übersandt. Der Vorsitzende hat die Schöffin daraufhin von der Dienstleistung entbunden. An ihrer Stelle ist der Ersatzschöffe C geladen worden.
Die Verteidigung rügt die Besetzung mit dem Schöffen C, da bei der Entpflichtung der B durch die widersprüchlichen Urlaubs- und Verhinderungsdaten zu besorgen sei, dass der Vorsitzende die Entscheidung auf einer falschen tatsächlichen Grundlage getroffen habe. Bei A fehle es an einer Begründung, da der Auslandsaufenthalt angesichts von Anlass und Dauer nicht als Erholungsurlaub anzusehen sei. Das Schwurgericht hat den Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung zurückgewiesen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Rechtliche Würdigung: Die Entbindungen der Haupt- und der Hilfsschöffin sind nicht zu beanstanden. Der Vorsitzende kann einen Schöffen auf dessen Antrag von der Dienstleistung an bestimmten Sitzungstagen entbinden (§§ 77 Abs. 3, 54 Abs. 1 GVG), wenn der Schöffe an der Dienstleistung durch unabwendbare Umstände gehindert ist oder ihm die Dienstleistung nicht zugemutet werden kann. Dabei ist – zur Wahrung des Rechts auf den gesetzlichen Richter – ein strenger Maßstab anzulegen. Erholungsurlaub stellt in der Regel einen Umstand dar, der zur Unzumutbarkeit der Dienstleistung führt. Berufliche Gründe rechtfertigen nur ausnahmsweise die Verhinderung eines Schöffen.
Der Senat überprüft die Entbindungen am Maßstab der Willkür. Diese liegt dann vor, wenn die damit verbundene Bestimmung des gesetzlichen Richters grob fehlerhaft ist und sich so weit vom Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt, dass sie nicht mehr gerechtfertigt erscheint. Dies ist hier nicht der Fall.
Dies gilt zunächst für die Schöffin B wegen ihres Erholungsurlaubs, bei dem die Annahme von Willkür ohnehin fernliegt. Der Vorsitzende hat sich der Nichtverschiebbarkeit des Urlaubs (bereits gebuchter Auslandsurlaub mit der Familie) versichert. Dass versehentlich die Daten der Urlaubsreise als Daten der Termine, an denen die Schöffin verhindert sei, eingetragen wurden, stellt nicht infrage, dass die Entscheidung auf der richtigen Tatsachengrundlage getroffen wurde, zumal die offensichtliche Unrichtigkeit sich bereits daraus ergibt, dass an einem angegebenen Tag überhaupt keine Fortsetzung anberaumt war und die Daten den An- und Abreisetagen entsprechen.
Ebenso wenig stellt sich die Entscheidung bezüglich der Hilfsschöffin A als willkürlich dar. A hatte Buchungsbestätigungen für die Flüge vorgelegt. Die Beurteilung des Kurzurlaubs anlässlich eines Geburtstags als Erholungsurlaub ist nicht willkürlich, sondern naheliegend. Das Argument der Verteidigung, aus § 7 Abs. 2 BUrlG sei zu schließen, dass von Erholungsurlaub erst ab einem Urlaub von zwölf aufeinanderfolgenden Werktagen auszugehen sei, geht fehl. Die Vorschrift bestimmt, dass bei einem Arbeitnehmer, der Anspruch auf Urlaub von mehr als zwölf Werktagen hat, ein Urlaubsteil mindestens zwölf Werktage umfassen muss. Daraus folgt, dass der andere Urlaubsteil einen geringeren Umfang haben kann.
Auch die Entscheidungen des Vorsitzenden, in beiden Fällen die Schöffinnen von der Dienstleistung insgesamt zu entbinden und nicht die jeweiligen Fortsetzungstermine zu verlegen, sind nicht willkürlich. Angesichts des bereits vorbereiteten umfangreichen Beweisprogramms und der Ladung von Zeugen für jeden Fortsetzungstermin war unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen eine Terminsverlegung nicht geboten.
Link zum Volltext der Entscheidung
Zitiervorschlag: OLG Hamm: Befreiung von Hauptverhandlung, in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 2, S. 77-78.