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BGH: Verständigung im Strafverfahren – Besprechung mit den Schöffen

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Die Pflicht zur Mitteilung, ob vor der Hauptverhandlung Erörterungen über den Stand des Verfahrens mit der Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) und ggf. des wesentlichen Inhalts stattgefunden haben, bezieht sich auf Gespräche zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten, nicht auf Aussprachen innerhalb des Spruchkörpers. Eine gesonderte Mitteilung über eine etwaige Besprechung mit den Schöffen hinsichtlich eines Verständigungsvorschlags ist nicht erforderlich. (Leitsatz d. Red.)

BGH, Beschluss vom 21.6.2022 – 5 StR 38/22

Sachverhalt: Vor der Hauptverhandlung fragte der Verteidiger, ob eine Verständigung (Bewährungsstrafe) in Betracht komme. Nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft gab der Vorsitzende zu den Akten, dass für den Fall eines Geständnisses eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen zwei Jahren neun Monaten und drei Jahren drei Monaten in Betracht komme. Der genaue Vorschlag stehe unter dem Vorbehalt der Beratung mit den Schöffen. Vermerke und Stellungnahme der Staatsanwaltschaft wurden in der Hauptverhandlung verlesen. Die Verteidigung erklärte daraufhin, dass sie kein Interesse an einem Verständigungsvorschlag habe. Die Revision des Angeklagten bemängelt u. a., dass über die Beratung mit den Schöffen nichts bekannt gegeben worden sei.

Rechtliche Würdigung: Die Rüge zeigt nach Auffassung des BGH keinen Rechtsfehler auf. Die nach § 243 Abs. 4 StPO erforderlichen Mitteilungen seien erfolgt. Für die Mitteilung über eine Besprechung mit den Schöffen bestehe schon deshalb kein Anlass, weil sich die Norm auf Erörterungen zwischen „dem Gericht“ und den Verfahrensbeteiligten beziehe, nicht auf Aussprachen innerhalb des Spruchkörpers.

Anmerkung: Die Revision konnte mit der Rüge schon deshalb keinen Erfolg haben, weil sie auf Auskünfte zielt, die dem Beratungsgeheimnis unterliegen (§ 43 DRiG gilt nach § 45 DRiG auch für ehrenamtliche Richter). Das Gericht tritt nach außen einheitlich zu dem in der Abstimmung erzielten Ergebnis auf. Allerdings wirft der Fall losgelöst von den konkreten Umständen dieses Verfahrens die Frage auf, ob das Beratungsgeheimnis – jedenfalls in dieser Form – noch zeitgemäß ist. Gerade weil die Verständigung dem deutschen Strafverfahren fremd ist, ist für die Verteidigung das Wissen von Bedeutung, wie (vor allem ob) die Diskussion in dem Spruchkörper stattgefunden hat. Viele Schöffen klagen darüber, an den Gesprächen zur Verständigung nicht beteiligt worden zu sein. Die Rechtspolitik hat sich der Frage noch nicht hinreichend angenommen, inwieweit bei Übernahme von Verfahrenselementen, die grundlegende Prinzipien des Strafprozesses aus Gründen der Verfahrensökonomie verändern, diese in ihrer Substanz durch größere Transparenz gesichert werden müssen. Zur Verständigung liegen mit der Studie von Iberl/Kinzig* inzwischen wissenschaftlich gesicherte (und wenig erfreuliche) Erkenntnisse vor; ob z. B. das Selbstleseverfahren, das den Grundsatz der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit einschränkt, die Mitwirkung der Schöffen fördert oder doch eher beeinträchtigt, ist bislang nicht erforscht. (hl)

* Die Rolle der Schöffen bei Absprachen im Strafprozess, 2023, vgl. Rezension in dieser Ausgabe, S. 87.

Link zum Volltext der Entscheidung


Zitiervorschlag: BGH: Verständigung im Strafverfahren – Besprechung mit den Schöffen, in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 2, S. 74.

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