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BGH: Mitteilung über Verständigungsgespräche

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Die Mitteilungspflicht des Vorsitzenden über die Erörterung einer Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) hat den Zweck, einem Angeklagten, der an dem Verständigungsgespräch nicht teilgenommen hat, durch umfassende Unterrichtung seitens des Gerichts zu ermöglichen, eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu treffen. Zum anderen sollen Transparenz und Dokumentation zum Schutz des Angeklagten eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch Öffentlichkeit, Staatsanwaltschaft und Rechtsmittelgericht ermöglichen. (Leitsatz d. Red.)

BGH, Beschluss vom 12.1.2022 – 4 StR 209/21

Sachverhalt: Vor Beginn der Hauptverhandlung kam es außerhalb des Sitzungssaals zu einem Gespräch, an dem Berufsrichter und Schöffen, der Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger, nicht aber der Angeklagte teilnahmen. Der Vorsitzende stellte für den Fall eines Geständnisses eine Gesamtfreiheitsstrafe im Bereich von zwei Jahren in Aussicht. Die Staatsanwaltschaft hielt die Strafe für zu gering und erwähnte ein mögliches Rechtsmittel. Der Verteidiger wollte den Vorschlag mit dem Angeklagten besprechen. Nach Beginn der Hauptverhandlung teilte der Vorsitzende lediglich mit, dass ein Rechtsgespräch geführt und eine Verständigung nicht getroffen worden sei. Der Angeklagte bestritt die mit der Anklage vorgeworfenen Taten.

Rechtliche Würdigung: Die Mitteilung nur der Gesprächsführung als solcher und des Ausbleibens einer Verständigung, nicht aber des wesentlichen Inhalts des Gesprächs, genügt nicht der Pflicht zur Information über die Erörterung einer Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO). Die Pflicht gilt auch nach erfolglosen Gesprächen. Sie soll gewährleisten, dass Erörterungen über eine Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, sodass für informelle, unkontrollierbare Umgehungen der strafprozessualen Grundsätze kein Raum bleibt. Es kann nach Auffassung des Senats nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf diesem Verfahrensverstoß beruht. Ein Angeklagter, der an dem Gespräch nicht teilgenommen hat, soll durch umfassende Unterrichtung über dessen Inhalt durch das Gericht in die Lage versetzt werden, eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu treffen. Zudem sollen die Transparenz- und Dokumentationspflichten zum Schutz des Angeklagten eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht ermöglichen. Der Senat schloss nicht aus, dass eine dem Gesetz entsprechende Unterrichtung des Angeklagten über den wesentlichen Inhalt des Verständigungsgesprächs zu einer anderen, ggf. geständigen Einlassung des Angeklagten geführt hätte, das Urteil also auf diesem Fehler beruht.

Link zum Volltext der Entscheidung


Zitiervorschlag: BGH: Mitteilung über Verständigungsgespräche, in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 2, S. 72.

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