Ausschluss vom Schöffenamt verschärfen?
Referentenentwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes
Von Hasso Lieber und Ursula Sens, PariJus
Vorabdruck – LAIKOS Journal Online 2024, Ausg. 3 – Gesetzgebung
Abstract
PariJus und andere Verbände haben zu einem vom Bundesministerium der Justiz vorgelegten Referentenentwurf kritisch Stellung genommen. Dieser Entwurf sieht die verpflichtende Veröffentlichung der Geschäftsverteilungspläne der Gerichte vor und eine Verschärfung der Ausschlussgründe bei Verurteilung eines Schöffen.
PariJus and other associations have criticised a draft bill submitted by the Federal Ministry of Justice. This draft provides for the mandatory publication of the courts‘ business allocation plans and a tightening of the grounds for exclusion in the event of a lay judge being convicted.
A. Stellungnahme der PariJus gGmbH
PariJus hat zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz wie folgt Stellung genommen:1
I. Veröffentlichung der Geschäftsverteilungspläne
Eine gesetzliche Regelung zur Veröffentlichung von Geschäftsverteilungsplänen der Gerichte im Internet durch eine Änderung des § 21e Abs. 9 GVG wird begrüßt. Im Rechtsstaat müssen Bürgerinnen und Bürger den verfassungsrechtlich garantierten „gesetzlichen Richter“ (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), der für jedes Verfahren im Voraus bestimmt ist, erkennen können. Die Einsichtnahme gerichtlicher Geschäftsverteilungspläne in der Geschäftsstelle des Gerichts ist im Zuge der Digitalisierung der Justiz nicht mehr zeitgemäß. Eine verpflichtende Veröffentlichung der aktuellen Geschäftsverteilung und der den einzelnen Spruchkörpern angehörenden hauptberuflichen Richterinnen und Richtern – unter Wahrung von Persönlichkeitsrechten – dient der Transparenz der Justiz.
II. Ausschluss vom Schöffenamt aufgrund einer Verurteilung
1. Der Referentenentwurf sieht vor, die Voraussetzungen für die Unfähigkeit zum Schöffenamt in § 32 Nr. 1 GVG in der Weise zu verschärfen, dass diese
- bei jeder Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, nicht erst bei einer solchen von über sechs Monaten, oder
- bei einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen eintreten.
Amtierende Schöffen werden gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 GVG automatisch von der Schöffenliste gestrichen.
- Bei einer Verurteilung zu einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten soll die Unfähigkeit zum Schöffenamt drei Jahre dauern.
2. PariJus unterstützt die Intention, durch geeignete Maßnahmen das Vertrauen der Allgemeinheit und der Verfahrensbeteiligten in die Integrität und Objektivität der Strafrechtspflege zu schützen und zu stärken. Schon die Beteiligung der Schöffen an Hauptverhandlung und Urteilsfindung ist eine solche Maßnahme.
3. Das richterliche Ehrenamt gehört zu den besonderen Organen, mit denen das Volk nach Art. 20 Abs. 2 GG Staatsgewalt in der Rechtsprechung ausübt. Nach Inkrafttreten des Grundgesetzes hat der Gesetzgeber 1950 deshalb für die Befähigung zum Schöffenamt schärfere Voraussetzungen aufgestellt;2 seitdem erfolgt der automatische Verlust der Amtsfähigkeit für jede Verurteilung von mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe. Die Integrität der in der Rechtsprechung handelnden Personen ist demnach konstitutives Element für den automatischen Verlust der Fähigkeit zu Übernahme bzw. Ausübung des Amtes durch ein Urteil, das selbst hierzu keine Aussage trifft. Als Argument für eine Verschärfung der Folgen kann die Wahrung der Integrität daher nur herangezogen werden, wenn dieses Ziel mit den geltenden Maßstäben des § 32 Nr. 1 GVG nicht mehr gewährleistet werden kann. Als Begründung belässt es der Entwurf bei der bloßen Behauptung, dass die gegenwärtige Regelung „vor dem Hintergrund diverser Fälle aus der gerichtlichen Praxis nicht mehr sachgerecht“ erscheine. Welche Fälle konkret gemeint sein sollen, wird nicht ausgeführt. Angesichts der strafrechtlichen Verfehlungen oder Verletzungen von Dienstpflichten durch Berufsrichter,3 die zu vergleichbaren gesetzgeberischen Initiativen keinen Anlass gegeben haben, bedarf die beabsichtigte Maßnahme gegenüber den Schöffen einer ausführlichen Begründung.
4. § 32 GVG ist nicht die einzige Möglichkeit eines nachträglichen Amtsverlustes für Schöffen. Nach § 51 Abs. 1 GVG kann ein Schöffe des Amtes enthoben werden, wenn er eine Amtspflicht gröblich verletzt. Das OLG Nürnberg hat in einer wegweisenden Entscheidung eine solche Verletzung auch für den Fall angenommen, dass ein Schöffe zwar nicht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt wurde, aber weitere Umstände für seine Ungeeignetheit als ehrenamtlicher Richter sprechen.4 Auch ein Verhalten außerhalb des Amtes kann eine gröbliche Pflichtverletzung darstellen, wenn das Fehlverhalten in die Amtsführung hineinwirkt. Eine Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen wegen Verbreitung jugend- bzw. kinderpornografischer Bilder und Videos in einem Gruppen-Chat hat das OLG für eine so gröbliche Verletzung der Amtspflichten gehalten, dass die Amtsenthebung gerechtfertigt war. Die Entscheidung verdeutlicht, dass unter Einbeziehung des § 51 GVG bereits nach bestehender Rechtslage die Verhängung einer Geldstrafe für die Entfernung aus dem Amt ausreichend sein kann.
5. Die gegenwärtige Regelung zum Amtsverlust eines Schöffen differenziert zwischen der automatischen Streichung nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 GVG bei Verurteilungen von einer gesetzlich definierten Schwere sowie der Amtsenthebung im Einzelfall auch unterhalb dieser Grenze durch die Entscheidung eines Strafsenats beim OLG nach § 51 Abs. 2 GVG. Diese Differenzierung entspricht der Systematik zum Amtsverlust bei den Berufsrichtern.
6. Die vorgeschlagene Änderung führt zu einem strukturell unterschiedlichen Schutz der Unabhängigkeit des Richters. Auch dem ehrenamtlichen Richter ist ein Minimum an persönlicher Unabhängigkeit verfassungsrechtlich garantiert,5 damit die sachliche Unabhängigkeit nicht infrage gestellt wird.6 Zwar genießen ehrenamtliche Richter nicht im gleichen Umfang die persönliche Unabhängigkeit wie Berufsrichter. Sie sind aber in diesem Bereich auch gegen willkürliche – oder nur sachlich ungerechtfertigte – Eingriffe des Gesetzgebers geschützt.
Der divergierende Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit wird im Referentenentwurf mit den unterschiedlichen Nachteilen des Amtsverlustes – auch in finanzieller Hinsicht – begründet. Zudem werden die Unterschiede zwischen Berufs- und ehrenamtlichen Richtern bei ihrer Auswahl für das Amt herangezogen, die bei Schöffen „kapazitätsbedingt“ eine Überprüfung auf die charakterliche Eignung kaum zulasse. Damit wechselt der Entwurf die Begründungsebene von gerichtsverfassungsrechtlichen zu – das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Strafrechtspflege nicht tangierenden – ökonomischen Aspekten. Die Schwierigkeiten für Kommunen und Schöffenwahlausschüsse bei der Schöffenwahl sind unstreitig. Konsequenterweise müsste sich der Gesetzgeber mit deren Reform befassen, die nicht durch Eingriffe in den richterlichen Status ersetzt werden kann. Insoweit sind Intention und Begründung des Referentenentwurfes zumindest sachfremd.
7. Der Entwurf setzt schematisch die Definition um, dass die Freiheitsstrafe gegenüber der Geldstrafe grundsätzlich die härtere Sanktion ist. Deshalb soll die Freiheitsstrafe schon ab der Mindestgrenze von einem Monat zur Unfähigkeit der Amtsübernahme bzw. -ausübung führen, die Geldstrafe erst ab einer Verurteilung zu 90 Tagessätzen. Abgesehen von der Frage, wie bei Vollstreckung der Geldstrafe im Wege der Ersatzfreiheitsstrafe zu verfahren ist, ist in der Praxis die Geldstrafe nicht stets die mildere Maßnahme gegenüber einer geringen Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Diese Erfahrung untermauert die Forderung, im unteren Sanktionsbereich die Beurteilung der Unfähigkeit zum Schöffenamt einer richterlichen Entscheidung im Einzelfall zu überlassen.
8. Der Referentenentwurf betrachtet die Reduzierung der Ausschlussfrist auf drei Jahre als Milderung gegenüber der Frist des BZRG von 10 Jahren. Allerdings stehen Schöffen, die in der zweiten Hälfte der Amtszeit von der Schöffenliste gestrichen werden, aufgrund der noch laufenden Frist auch für die gesamte nächste fünfjährige Amtsperiode nicht zur Verfügung. Schöffen, die in der ersten Hälfte der Amtsperiode auffällig werden, können sich formal bei der nächsten Schöffenwahl wieder bewerben. Solche Divergenzen mögen sich bei Fristen nicht vermeiden lassen, müssen aber in eine Entscheidung im Einzelfall in eine Abwägung über den Ausschluss vom Schöffenamt einbezogen werden.
9. Die beabsichtigte Änderung betrifft zwangsläufig auch die Handelsrichter und ehrenamtlichen Richter in Landwirtschaftsverfahren. § 109 Abs. 3 Alt. 1 GVG und § 4 Abs. 3 Nr. 2 LwVfG verweisen auf die Unfähigkeitsgründe des § 32 GVG. Der Entwurf geht auf diese Rechtsfolge nicht ein. Die Auswahl und Berufung dieser sachkundigen ehrenamtlichen Richter ist unproblematischer als die der Schöffen; „Kapazitätsgründe“ – wie für das Schöffenamt – können nicht ins Feld geführt werden.
Daneben entsteht eine Schieflage zwischen den ehrenamtlichen Richtern der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Fachgerichtsbarkeiten. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 ArbGG, § 21 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VwGO, § 17 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGG sowie § 18 Abs. 1 Alt. 2 FGO regeln weiterhin den Ausschluss vom richterlichen Ehrenamt wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten. Für diese unterschiedliche Behandlung gibt es keinen sachlichen Grund.
10. Gleichwohl besteht Handlungsbedarf bei der Berücksichtigung von Verurteilungen wegen grob fahrlässiger Straftaten. Gegenwärtig wäre ein wegen fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr verurteilter Schöffe nicht automatisch von der Schöffenliste zu streichen, sodass der Weg über die Amtsenthebung nach § 51 GVG eingeschlagen werden müsste. Wird dagegen ein Schöffe anstelle einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu einer sechswöchigen Freiheitsstrafe unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt, weil feststeht, dass er weder die Geldstrafe bezahlen noch ersatzweise Leistungen erbringen kann, wird er nach der vorgeschlagenen Änderung automatisch von der Schöffenliste gestrichen.
Zusammenfassende Bewertung zu § 32 GVG
PariJus unterstützt wirksame Maßnahmen, die der Stärkung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Rechtsprechung dienen. Ausgangspunkt ist der Verfassungsgrundsatz des Zugangs zu jedem öffentlichen Amt nach „Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“ (Art. 33 Abs. 2 GG). Dem vorliegenden Referentenentwurf fehlt die anlassbezogene Begründung für eine Verschärfung der Ausschlussgründe. Er berücksichtigt die geltende Rechtslage nicht in vollem Umfang und ist hinsichtlich der Rechtsfolgen unvollständig und in sich widersprüchlich.
B. Stellungnahmen aus der Verbändebeteiligung
Weitere acht Verbände haben eine Stellungnahme abgegeben, von denen die interessantesten zur Änderung im Recht der Schöffen wiedergegeben und kommentiert werden.7 Die Neue Richtervereinigung, der Bundesverband der Rentenberater und der Deutsche Richterbund konzentrieren sich in ihren Stellungnahmen auf die digitale Veröffentlichung der Geschäftsverteilung und nehmen zur Frage der Unfähigkeit zum Schöffenamt substanziell keine Stellung.
1. Die Deutsche Justiz-Gewerkschaft (FB Richter und Staatsanwälte) hält die vorgeschlagene Regelung für ebenso „marginal wie ungeeignet, die als unbefriedigend empfundene Situation nachhaltig zu verändern“. Was die Volljuristen in der DJG als unbefriedigende Situation empfinden, machen sie gleich im Anschluss deutlich. Für sie „stellt sich die grundsätzliche Frage der Notwendigkeit eines Fortbestandes des Schöffenwesens“. Zur Begründung werfen sie einen Blick zurück: „Die Überlegungen sind dabei keine anderen als diejenigen, die bereits vor einhundert Jahren zur Emminger’schen Reform und damit zur Abschaffung der Geschworenengerichte geführt hatten.“ Welche Überlegungen das damals gewesen sein sollen, wird nicht mitgeteilt. Dies wäre auch schwierig, da mit der Emminger-Reform in der Sache das Geschworenengericht gar nicht abgeschafft wurde. Tatsächlich wurde aus der Trennung des Schuldspruchs durch eine Jury von dem Strafausspruch der Berufsrichter ein Schwurgericht, in dem sechs Schöffen (die weiter als Geschworene bezeichnet wurden) und drei Berufsrichter gemeinsam über Schuld und Strafe entschieden. Da die Schöffen über eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Gericht verfügten, konnten sie bei unterschiedlichen Auffassungen weiterhin gegen die Stimmen der Berufsrichter eine Verurteilung herbeiführen. Befugnis und Einfluss der Geschworenen sind durch die Emminger-Reform mit der Beteiligung an der Festsetzung der Strafe eher größer geworden. Die Behauptung, dass es Überlegungen zu einer Abschaffung der Schöffen gegeben hätte, ist falsch. Die neue Besetzung war im Gegenteil der de facto erstinstanzliche Eintritt der Schöffen bei den Landgerichten, dessen große Strafkammern bis dahin ausschließlich mit drei Berufsrichtern entschieden. Insofern kann die Emminger-Reform nicht zur Begründung einer endgültigen Abschaffung der Schöffen herangezogen werden.8
Die Reform des Reichsjustizministers Emminger durch Notverordnung hat allerdings eine andere unselige Entwicklung eingeleitet: den Einzelrichter in Strafsachen (Strafrichter).9 Damals wurden ihm Delikte von geringerer Bedeutung (Übertretungen) zur alleinigen Entscheidung zugewiesen. Diese Kompetenz wurde im Laufe der Zeit mehrmals erweitert, sodass der Strafrichter heute mit einer Strafgewalt bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe über 90 % aller Strafverfahren beim Amtsgericht erledigt. Die Begründung hierfür war stets rein ökonomischer Natur – zuletzt bei der Ausweitung der Kompetenz von einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf zwei Jahre mit dem Rechtspflegeentlastungsgesetz vom 11.1.1993 anlässlich der Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Bedenklich ist auch die Begründung, dass „die Richterinnen und Richter des 21. Jahrhunderts vollständig in die Bevölkerung integrierte Menschen aus der Mitte des Volkes [sind], sodass kein Grund mehr ersichtlich ist, ihre Ergänzung durch weitere ebensolche Bürger vorzusehen. Der alte weißhaarige Gerichtsrat, dem Volkes Gedanken nähergebracht werden müssen, ist seit langem Geschichte.“ Dass ehrenamtliche Richter Teil der von Art. 20 Abs. 2 und 33 Abs. 2 GG (in Verbindung mit zwölf Landesverfassungen) vorgesehenen Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk sind (nicht nur durch eine abstrakte Legitimationskette, sondern aktive Teilhabe), scheint sich aus der Vorstellung zu dieser Argumentation verflüchtigt zu haben. Hier tritt ein offener Widerwille gegen die nicht mit den höheren (juristischen) Weihen ausgestatteten Vertreter der Zivilgesellschaft zutage.
2. Der Deutsche Sozialgerichtstag e. V. regt die Übernahme der Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 SGG für die ehrenamtlichen Richter in der Sozialgerichtsbarkeit an, weil – trotz gewichtiger Unterschiede – die Herabsetzung der Schwelle auch in der Sozialgerichtsbarkeit dazu beitragen könnte, das Vertrauen in die Integrität und Objektivität der Gerichte zu festigen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält die aus den „diversen Fällen“ in der Strafgerichtsbarkeit resultierende Gefahr einer Beeinträchtigung des Vertrauens in die Integrität und Objektivität der Strafrechtspflege für nachvollziehbar, kritisiert aber, dass Belege dafür nicht benannt werden. Auf Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit sowie Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit könne die Argumentation nicht übertragen werden. Zwischen den ehrenamtlichen Richtern dieser Gerichtsbarkeiten und der Mitwirkung von Schöffen müsse hinsichtlich der „Schwelle der Ausschlussgründe unterschieden werden“. Welche Unterschiede zwischen dem ehrenamtlichen Richter einer Fachgerichtsbarkeit und einem Schöffen bestehen sollen, wenn beide z. B. wegen Betruges oder vorsätzlicher Körperverletzung zu 120 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt werden, erschließt sich aus der Stellungnahme nicht.
3. Auf die unterschiedliche Sichtweise der ehrenamtlichen Richter im Vergleich zu den Berufsrichtern, bei denen ein Nachdenken hinsichtlich der Höhe einer Schranke zur Entfernung aus dem Richteramt ebenfalls angesagt wäre, weist die Stellungnahme der Vereinigung der Ehrenamtlichen Richterinnen und Richter Mitteldeutschlands (VERM) hin. Probleme mit strafbaren Handlungen – oder auch verfassungsrechtlich problematischem Verhalten – treten derzeit eher im Bereich der Berufsrichter auf. Mit deren Sanktionierung tun sich Gesetzgeber wie Rechtsprechung deutlich schwerer als gegenüber ehrenamtlichen Richtern. Zwar mussten auch die Berufsrichter Ende 2023 eine Absenkung der Voraussetzungen zum Amtsverlust hinnehmen. Der automatische Ausschluss aus dem Richteramt bei einer Verurteilung zur Freiheitsstrafe wurde von einem Jahr auf sechs Monate reduziert – jedoch nur bei einer Verurteilung wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB). Ein Berufsrichter, der bei einer Demo „Ausländer raus“ brüllt und zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt würde, verliert automatisch das Amt, während eine Amtsenthebung wegen Besitzes von Kinderpornografie die Prüfung des Dienstgerichts durchlaufen müsste. Bei Verurteilung durch Strafbefehl träte der Amtsverlust selbst bei einer Freiheitsstrafe von einem Jahr nicht automatisch ein, sondern nur durch ein Urteil des Richterdienstgerichtes. Die Verletzung der Menschenwürde kann bei dieser Differenzierung der Rechtsfolgen einer Straftat kaum der Maßstab gewesen sein.
4. Die Bundesrechtsanwaltskammer hält bereits zur Veröffentlichung der Geschäftsverteilungspläne für wünschenswert, dass auch alle Unterlagen, die zur Prüfung der ordnungsgemäßen Auswahl der Schöffen erforderlich sind, veröffentlicht werden; eine Sichtung der Unterlagen vor Ort (im jeweiligen Gericht) sei nicht mehr zeitgemäß. Eine solche Verbesserung der Transparenz wird von PariJus – angesichts der Umstände der Schöffenwahl 2023 – begrüßt.
Die Verschärfung der Voraussetzungen für die Unfähigkeit zum Schöffenamt wird von der Kammer grundsätzlich unterstützt. Sie hält jedoch – in Übereinstimmung mit PariJus – für nicht nachvollziehbar, dass alle fahrlässigen Taten bei dieser Beurteilung außer Betracht bleiben. Auch eine Fahrlässigkeitstat, die mit Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten sanktioniert wird, sollte zur Unfähigkeit der Übernahme bzw. Ausübung des Schöffenamtes führen. Die Orientierung der Ausschlussgründe an den Eintragungsvoraussetzungen in das Bundeszentralregister sei zudem unvollständig. Dort werden Geldstrafen unter 90 Tagessätzen nur dann nicht eingetragen, wenn keine weiteren Eintragungen vorhanden sind. Ab einer zweiten Verurteilung werden die Strafen auch unterhalb der Grenze von 90 Tagessätzen eingetragen und im Führungszeugnis offenbart. Die Mitwirkung als Schöffe sollte daher nach Auffassung der Kammer von der Vorlage eines eintragslosen Führungszeugnisses (§ 53 Abs. 1 BZRG) abhängig gemacht werden. Die Kammer macht auf einen weiteren Wertungswiderspruch aufmerksam, weil bestimmte in § 32 Abs. 5 BZRG aufgezählte Straftaten (z. B. § 184b Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte, § 184f Ausübung der verbotenen Prostitution, § 184i Sexuelle Belästigung) auch dann ins Führungszeugnis eingetragen werden, wenn eine Geldstrafe unter 90 Tagessätzen verhängt wird. Auch insoweit sollten die Gründe für die Unfähigkeit zum Amt erweitert werden.
- Referentenentwurf vom 30.8.2024 [Abruf: 4.11.2024].[↩]
- Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts, BT-Drs. 1/530 vom 9.2.1950, Anlage Ia, S. 7 (Zu Nr. 25).[↩]
- Corona-Amtsrichter in Weimar, Weilheim, Meiningen usw., aus dem Bundestag zurückkehrender sächsischer AfD-Richter (Maier), Vorwurf der Beteiligung an Umsturzplänen gegen eine Richterin aus Berlin (Malsack-Winkemann). Diese und weitere Fälle vgl. Joachim Wagner, Rechte Richter, 2. Aufl., 2023; Hasso Lieber, Weimar, Weilheim, Wuppertal – ein Lehrstück zur richterlichen Unabhängigkeit und Gesetzesbindung, in: Nora Düwell u. a. (Hrsg.), Liber amicorum Franz Josef Düwell, 2021, S. 877 ff.[↩]
- OLG Nürnberg, Beschluss vom 2.11.2021, Az.: Ws 952/21, RohR 2022, S. 30 mit zustimmender Anmerkung Lieber, S. 31.[↩]
- Kment, in: Jarass/Kment, GG, 18. Aufl., 2024, Art. 97 Rn. 13.[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 9.5.1962, Az.: 2 BvL 13/60, BVerfGE 14, S. 56, 70.[↩]
- Stellungnahmen aus der Verbändebeteiligung [Abruf: 4.11.2024].[↩]
- Vgl. dazu Ursula Sens, Vor 100 Jahren – Die Lex Emminger vom 4. Januar 1924, LAIKOS Journal Online 2024, S. 47.[↩]
- George Andoor, Laien in der Strafrechtsprechung, 2013, S. 28.[↩]