Schöffenwahl 2023 – Anspruch und Wirklichkeit
Das erste Jahr der neuen Amtszeit für die Schöffinnen und Schöffen geht seinem Ende entgegen. Die Hymnen sind verklungen, das Schöffenamt sei „von höchster Bedeutung für unseren demokratischen Rechtsstaat“ (Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier), ehrenamtliche Richterinnen und Richter erhöhten die „Qualität der Rechtsprechung“ (Ex-Bundesjustizminister Marco Buschmann), leisteten „einen großen Beitrag für unseren Rechtsstaat“ (Sonja Eichwede, SPD-MdB) und stellten damit für die Berufsrichter „ein Korrektiv“ dar (Canan Bayram, Grünen-MdB). LAIKOS bringt mit der Analyse Fakten zur Schöffenwahl 2023 sowohl zum Wahlverfahren als auch zu den gewählten Schöffinnen und Schöffen.
Eine positive Bilanz zur Schöffenwahl zieht die sachsen-anhaltinische Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) in der Süddeutschen Zeitung vom 1.1.2024. „In vielen Amtsgerichtsbezirken in Sachsen-Anhalt gab es sogar mehr Bewerberinnen und Bewerber als bei der letzten Schöffenwahl. Das zeigt, dass die Arbeit als ehrenamtliche Richterin und ehrenamtlicher Richter eine besondere Bedeutung hat und sich viele Bürgerinnen und Bürger für unsere Gesellschaft und den Rechtsstaat einbringen wollen.“1 Korrekt gegendert, aber inhaltlich nicht untersetzt. Wer nur auf „viel“ schaut, nimmt in Kauf, dass darunter auch „viele“ sind, vor denen man im Laufe der Wahl gewarnt hat. PariJus hat eine Umfrage in 107 Verwaltungseinheiten mit über 400 Gemeinden durchgeführt. Das Ergebnis ist ernüchternd. Eine große Zahl der Gemeinden hat ein Mehrfaches der erforderlichen Bewerber an den Schöffenwahlausschuss „durchgewunken“, anstatt eine qualitative Auswahl nach Eignung und Befähigung zu treffen. Angesichts zahlloser Warnungen vor rechtsextremer Mobilisierung ein leichtfertiges – zumindest widersprüchliches – Unterfangen. Wobei die kommunale Seite Recht hat, wenn sie sich darüber beschwert, vom Gesetzgeber im Stich gelassen zu werden. Selbst der zaghafte Versuch der CDU 2022 im Deutschen Bundestag, das Höchstalter des Zugangs zum Schöffenamt anzuheben, wurde von der Parlamentsmehrheit abgelehnt. Das Thema wurde der AfD überlassen, die im Januar 2024 einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht hat. Mehr als Pressemeldungen haben die Rechtspolitiker aller Couleur nicht zustande gebracht. Aber die Pressemeldung ist kein Allheilmittel bei der Verteidigung der Demokratie – deren Gestaltung ist ohnehin besser als bloße Abwehrhaltungen.
Dazu dürfen wir über einen Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zu § 32 GVG berichten, der für ehrenamtliche Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Schöffen, Handelsrichter, Landwirtschaftsrichter) die Schwelle herabsetzen will, die bei einer strafrechtlichen Verurteilung zur Unfähigkeit der Amtsübernahme oder -ausübung führt. Statt einer „Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten“ soll künftig „jede Freiheitsstrafe und Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen“ zum automatischen Verlust des Amtes führen. Der Entwurf wird von organisierten Richtern und Staatsanwälten genutzt, die Abschaffung des Schöffenamtes ins Gespräch zu bringen. Die Vereinigung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter Mitteldeutschlands (VERM) und PariJus haben aus der Sicht des richterlichen Ehrenamtes Stellung bezogen.
Wir wünschen eine erkenntnisreiche Lektüre.
Hasso Lieber & Ursula Sens
Zitiervorschlag: Hasso Lieber/Ursula Sens, Schöffenwahl 2023 – Anspruch und Wirklichkeit [Editorial], in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 3, S. 99.
- Für über 2500 Schöffen beginnt Amtsperiode an den Gerichten, Süddeutsche Zeitung vom 1.1.2024 [Abruf: 14.11.2024].[↩]