Aufpassen – aber richtig!
Zwei Themen sind derzeit für ehrenamtliche Richter von Interesse: die fortschreitende Digitalisierung in der Justiz und die Verfassungstreue der Ehrenamtlichen. Die Corona-Zeit hat der Digitalisierung Auftrieb gegeben. Aber nur langsam nimmt die Diskussion über die reine Technik hinaus die damit verbundenen Probleme auf, die Auswirkung auf die Beteiligung der ehrenamtlichen Richter haben. Diese reichen von ggf. nicht vorhandener Technik im häuslichen oder beruflichen Bereich bis hin zur mangelnden Kontrollierbarkeit von evtl. Einflüssen auf den ehrenamtlichen Richter. Zu Recht verlangt Zwickel in seinem Beitrag, dass das Gericht regelmäßig zur Beratung und Abstimmung zusammen sein müsse – nicht nur des technischen Aufwandes wegen. In Präsenz diskutiert es sich anders als in einer Video-Beratung. Gesetzliche Regelungen, die die ehrenamtlichen Richter vom „Ob“ einer Videoverhandlung ausschließen, werden über kurz oder lang als Argument gegen die Beteiligung der Vertreter der Zivilgesellschaft verwendet werden. Erst recht gilt das für den kommenden Einfluss von Künstlicher Intelligenz auf die Vorbereitung und Durchführung von Verfahren. Gerade hier werden Beteiligte, die außerhalb der professionellen Justiz stehen, von außerordentlicher Wichtigkeit sein. Ob sich die Diskussion in eine andere Richtung zu Lasten der Partizipation entwickelt, wird die Redaktion sorgfältig beobachten.
Ebenso zwiespältig ist die Diskussion über die Verfassungstreue ehrenamtlicher Richter. Dass ehrenamtliche Richter die verfassungsmäßige Ordnung nicht ablehnen dürfen, ist Bestandteil der Rechtsordnung. Schließlich sind sie als Teil der Rechtsprechung an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG) und leisten den Eid auf das Grundgesetz und ggf. auf die jeweilige Landesverfassung (§ 45 Abs. 2 ff. DRiG). Welche Regelung sollte hier eine Lücke schließen wollen? Wenn Zweifel an der Verfassungsloyalität bestehen, wird der Betreffende nicht vorgeschlagen oder gewählt. Wenn dies nicht funktioniert, hilft das beste Gesetz nichts. Die bemühte Debatte um eine Ergänzung des Deutschen Richtergesetzes täuscht politische Aktivität vor, die für den Fall der Fälle nur einen weiteren (absoluten) Revisionsgrund schafft.
Die Gefahr liegt oft im Alltäglichen. Der Überblick über wissenschaftliche Untersuchungen zeigt, dass sich extremistische oder populistische Strömungen oft die Herrschaft über Worte aneignen und mit eigenem Inhalt versehen. Eigentlich unpolitische Ereignisse wie die Fußball-EM lehren uns die allgegenwärtige Präsenz von unterschwelliger Agitation. Der „Wolfsgruß“ des türkischen Nationalspielers wurde als jahrhundertealte türkische Geste heruntergespielt. Mit der gleichen Ausrede könnte man den Hitler-Gruß mit gerade ausgestrecktem, erhobenem Arm als traditionell herunterspielen, war er doch im Römischen Reich als Saluto Romano ein allgemeiner militärischer Gruß. Dieser wurde vom Faschismus des Benito Mussolini adaptiert und etablierte sich im deutschen Nationalsozialismus. Zu Recht wird auf die Gefahr latent wirkender faschistoider Einflüsse hingewiesen, aber eben nicht nur als organisierter Aufruf, sondern als alltäglicher Gewöhnungseffekt. Als ehemaligem Chef eines Verfassungsschutzes sind mir die Untersuchungen, die einen festen Bodensatz in der Bevölkerung ausweisen, nur zu bekannt. Die Aufmerksamkeit gilt jedoch nicht dem großen Geschrei, sondern dem Gewöhnlichen, das uns beständig umgibt. Auf europäischer Ebene wird daher an der Stärkung des richterlichen Ehrenamtes wie an einer Ethik der Amtsinhaber gearbeitet. Das Thema wird uns eine Weile begleiten.
Allen, die ihre Aufgabe als ehrenamtliche Richterinnen und Richter in Verantwortung wahrnehmen, sei mit der neuen Ausgabe Erkenntnisgewinn gewünscht.
Hasso Lieber
Zitiervorschlag: Hasso Lieber, Aufpassen – aber richtig! [Editorial], in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 2, S. 59.