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J. W. Lück: Das richterliche Ehrenamt im Wandel

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Jörg Wolfgang Lück: Das richterliche Ehrenamt im Wandel: Ehrenamtliche Richter im Spannungsfeld von bürgerschaftlichem Engagement und staatsbürgerlicher Pflicht. Berlin: epubli 2022. XVI, 446 S. ISBN 978-3-7549-4133-1, € 50,99

Zur demokratischen Legitimation des Justizsystems wird vielfach die Beteiligung ehrenamtlicher Richter herangezogen, die als Vermittler zwischen Justiz und Bevölkerung das Vertrauen in die Justiz sowie die Bereitschaft zu gesetzeskonformem Verhalten stärken sollen. Diesen Gedanken greift die an der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen entstandene Dissertation auf, indem sie das Vertrauen der ehrenamtlichen Richter in die Institution „Rechtsprechung“ in den Mittelpunkt stellt, ob dieses Vertrauen während der Amtszeit steigt und transportiert wird. Der Autor bezeichnet das richterliche Ehrenamt als „staatlich institutionalisiertes Ehrenamt“, da im Unterschied zu anderen klassischen Ehrenämtern die Verpflichtung zur Amtsübernahme besteht. Ausgehend von verschiedenen soziologischen Konzepten zum Verständnis von „Sozialkapital“, das durch Vertrauen in Institutionen – hier: die Institution „Rechtsprechung“ – entsteht, hebt er drei prägende Faktoren in Bezug auf die Tätigkeit ehrenamtlicher Richter hervor:

Durch die Ausübung des Amtes bilden sich Netzwerke. Ehrenamtliche Richter tauschen sich innerhalb ihrer Gruppe (Spruchkörper) aus. Darüber hinaus verbinden sie als Multiplikatoren – „brückenbauend“ – unterschiedliche Gruppen, da sie über Wissen verfügen, das Mitglieder anderer Netzwerke nicht haben. Konnten sie selbst Institutionenvertrauen durch die Ausübung des richterlichen Ehrenamtes gewinnen, können sie dieses z. B. durch Informationen aus dem Gericht an die Familie oder den Freundeskreis weitergeben.

Normen regeln Rechtsstellung und Rolle der ehrenamtlichen Richter und prägen somit das Verhalten der Berufsrichter gegenüber ehrenamtlichen Richtern und Prozessparteien bzw. Angeklagten. Ehrenamtliche Richter sind daran interessiert, von den Berufsrichtern fair behandelt zu werden; dies beeinflusst ebenso den Informationsfluss im Gericht. Unter Fairness wird nicht nur die Einhaltung von gesetzlichen Normen verstanden, sondern gerechtes, partizipatives, unabhängiges, objektives und transparentes Verhalten.

Vertrauen in die Rechtsprechung fördert die Einhaltung von Normen und ist unverzichtbar für Demokratie und Rechtsstaat. Ehrenamtliche Richter könnten Vertrauen in die Rechtsprechung sichern oder steigern, wenn sie positive Erfahrungen in der Institution „Rechtsprechung“ sammeln; z. B. lernen sie durch die Mitwirkung an richterlichen Entscheidungen, dass sie als Bürger Einfluss auf staatliches Handeln haben. Über Kontakte in das private und berufliche Umfeld könnten sie Vertrauen aufbauen, indem sie diese Erfahrungen weitergeben, z. B. wie sie die Arbeit bei Gericht erleben.

Dem theoretischen Teil der Arbeit folgt eine empirische Untersuchung. Der Autor hat ehrenamtliche Richter unterschiedlicher Gerichtsbarkeiten – Schöffen und Handelsrichter am Landgericht Gera, ehrenamtliche Richter am Verwaltungs- und am Arbeitsgericht in Berlin sowie am Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg – schriftlich befragt, um herauszufinden, ob durch ihre Tätigkeit Institutionenvertrauen und folglich Sozialkapital entsteht. Dabei werden auch Rahmenbedingungen des Amtes wie Rekrutierung, Motivation, Partizipation und Professionalisierung daraufhin analysiert, wie sie ausgestaltet sein müssen, um Wirkung dahingehend zu entfalten, das Bewusstsein der ehrenamtlichen Richter über ihre aktive Rolle und das Institutionenvertrauen zu stärken.

Trotz der Übernahmeverpflichtung empfänden ehrenamtliche Richter das Amt als freiwillige Tätigkeit und nicht als Zwang. Das politische Interesse der ehrenamtlichen Richter erweise sich als sehr ausgeprägt; daher eigneten sie sich hervorragend, politisches Vertrauen zu vermitteln. Zurecht stellt der Autor infrage, ob die Rekrutierung, die maßgeblich auf die Parteien in den Kommunen setze, bei nachlassender Parteienbindung noch sinnvoll sei. Bei der Motivation steht die „Erweiterung von Kenntnissen und Erfahrungen“ an erster Stelle, gefolgt von „Freude an der Tätigkeit“ und „Tätigkeit für das Gemeinwohl“. Eine deutliche Mehrheit nehme keine Belastung oder Benachteiligung durch das Amt wahr. Der Aspekt der Partizipation betrifft die Zusammenarbeit mit den Berufsrichtern, vor allem Rolle und Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter sowie ihren Einfluss auf die Entscheidung. 92,7 % der Befragten hatten den Eindruck, dass sich die Berufsrichter für ihre Meinung interessieren und fühlen sich ernst genommen.

Der Autor spricht mir aus der Seele, wenn er schreibt, dass man sich vom Bild des Laienrichters, der nur seinen gesunden Menschenverstand einbringt, verabschieden und mehr Professionalisierung anstreben sollte durch ausführliche Informationen über den Fall (Akteneinsicht), Schulung (Rechte und Pflichten, juristische Grundkenntnisse) und Erfahrung (durch die Ausübung des Amtes oder aus anderen Lebensbereichen, die auf das Amt übertragen werden können).

Die Dissertation nimmt sich eines wichtigen gesellschaftspolitischen Themas an und bezieht ehrenamtliche Richter mit und ohne Sachkunde ein. Bei seinen Empfehlungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen, die für die Bildung von Sozialkapital wichtig seien, verweist Lück auf das „Rechtspolitische Programm des Bundesverbandes ehrenamtlicher Richterinnen und Richter“, in dem sich viele Forderungen wiederfänden; auch Jahre nach dessen Beschlussfassung 2015 sind die Vorschläge noch aktuell. Ein umfassender Tabellenanhang stellt die detaillierten Ergebnisse der 78 Fragen dar. Der Autor hält das staatlich institutionalisierte richterliche Ehrenamt weiterhin für zeitgemäß und sieht in ihm einen wichtigen Faktor, der zum Vertrauen in die Rechtsprechung beiträgt. Mit dieser Arbeit wird ein immer wieder angeführtes Argument für die Beteiligung von ehrenamtlichen Richtern auch wissenschaftlich untermauert. (us)

Zitiervorschlag: Ursula Sens, J. W. Lück: Das richterliche Ehrenamt im Wandel [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 1, S. 38-39.

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