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OLG Zweibrücken: Amtsenthebung – Gröbliche Pflichtverletzung

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  1. Ein Schöffe ist seines Amtes zu entheben, wenn er seine Amtspflichten gröblich verletzt hat (§ 51 Abs. 1 GVG). Eine solche Pflichtverletzung ist anzunehmen, wenn der Schöffe ein Verhalten zeigt, das ihn aus objektiver Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten ungeeignet für die Ausübung des Schöffenamtes erscheinen lässt, weil er nicht mehr die Gewähr bietet, unparteiisch und nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden.
  2. § 51 Abs. 1 GVG (Amtsenthebung) ist auch anwendbar, wenn dem Schöffen ein strafbares Verhalten zur Last gelegt wird. Dabei stellt der Ausschlussgrund einer Verurteilung von mehr als sechs Monaten wegen einer vorsätzlichen Straftat (§§ 32 Nr. 1, 52 Abs. 1 Nr. 1 GVG) keine Untergrenze dergestalt dar, dass der Schöffe nach einer Straftat allein bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen aus dem Schöffenamt entfernt werden kann. § 51 GVG schafft – unter engen Voraussetzungen – eine eigene Möglichkeit, einen Schöffen des Amtes zu entheben.
  3. Wegen des verfassungsrechtlichen Prinzips des gesetzlichen Richters ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße zu beachten. Als gröbliche Pflichtverletzung kommen neben der Verletzung des Beratungsgeheimnisses, wiederholtem unentschuldigtem Fernbleiben von Sitzungen, der nicht nur vorübergehenden fehlenden telefonischen und postalischen Erreichbarkeit sowie der Verweigerung der Eidesleistung insbesondere auch verfassungsfeindliche Aktivitäten in Betracht.
  4. Weder bußgeldbewehrte Verstöße gegen die Maskenpflicht bei sog. Montagsspaziergängen oder die bloße Teilnahme an solchen Versammlungen noch eine nach dem Versammlungsrecht strafbewehrte Durchführung einer derartigen Versammlung ohne Anmeldung als Veranstalter oder Leiter begründen jeweils für sich allein oder in einer Zusammenschau die Annahme einer gröblichen Amtspflichtverletzung eines Schöffen im Sinne des § 51 Abs. 1 GVG. (Orientierungssätze d. Red.)

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14.10.2022 – 1 Ws 187/22

Anmerkung: Der Entscheidung liegt der Antrag des Vorsitzenden eines Schöffenwahlausschusses an das OLG zugrunde,

a) einen Jugendhauptschöffen gemäß § 51 GVG wegen einer gröblichen Verletzung seiner Amtspflichten seines Amtes zu entheben und

b) ihm bis zur Entscheidung über diesen Antrag die Führung der Amtsgeschäfte vorläufig zu untersagen.

Begründung ist, dass gegen den Schöffen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz in drei Fällen Anklage erhoben, sowie wegen Verstößen gegen die (damalige) Maskenpflicht in der Öffentlichkeit zwei Bußgeldbescheide erlassen worden seien. Die Generalstaatsanwaltschaft unterstützte den Antrag. Das OLG hat ihn abgelehnt.

Zu a) Das OLG hebt zunächst in Fortsetzung der jüngeren Rechtsprechung (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 2.11.2021, Az.: Ws 952/21, RohR 2022, S. 30) hervor, dass die Grenze des § 32 GVG (Freiheitstrafe von mehr als sechs Monaten), die von der Bewerbung für das Schöffenamt ausschließt und bei einer Verurteilung während der Amtszeit zur Streichung von der Schöffenliste führt, keine Untergrenze für eine Amtsenthebung eines Schöffen gemäß § 51 GVG darstellt. Wenn bereits ein Verhalten genüge, das strafrechtlich überhaupt nicht relevant sei, um die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 GVG zu erfüllen, müsse dies erst recht gelten, wenn das Verhalten zugleich eine Strafnorm erfülle. Dem Argument ist schon im Hinblick auf einen verfahrensmäßigen Unterschied der beiden Möglichkeiten eines Amtsverlustes beizutreten. Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten ist ohne jede Wertung als Voraussetzung leicht zu erkennen und zu handhaben und kann vom Gericht, dem der Schöffe angehört, mit einer einfachen Streichung aus der Schöffenliste vollzogen werde. Dagegen setzt die Feststellung der gröblichen Pflichtverletzung eine Prüfung und Wertung voraus, die als Eingriff in die (auch dem Schöffen zustehende) persönliche richterliche Unabhängigkeit einem besonderen Senat des OLG übertragen ist. Die Regelung entspricht dem Verfahren bei Berufsrichtern, bei denen ein Amtsverlust automatisch bei einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr eintritt (§ 24 Nr. 1 DRiG), während bei einer Entlassung aus anderem Grund das Richterdienstgericht zuständig ist.

Die Amtsenthebung eines Schöffen verdient dieselbe Aufmerksamkeit und hat dasselbe Gewicht wie die eines Berufsrichters. Auch für die Schöffen gilt das Prinzip des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), das nur bei Beachtung der Verhältnismäßigkeit von Pflichtverletzung und Sanktion den Eingriff (Orientierungssatz 3) zulässig, aber auch erforderlich macht. Dabei kommt schwerwiegendes Fehlverhalten auch außerhalb des Amtes in Betracht, wie die jüngste Amtsenthebung einer Schöffin des LG Erfurt durch das Thüringer OLG wegen Verstoßes gegen das Mäßigungsgebot im Umgang mit Rechtsextremen deutlich macht.

Diesen strengen Maßstab sah das OLG Zweibrücken im vorliegenden Fall nicht erreicht. Die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 8 Abs. 1 GG) hätten insoweit Vorrang. Anhaltspunkte dafür, dass mit der Ablehnung der staatlich angeordneten Maskenpflicht im Freien zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auch eine grundsätzliche Infragestellung staatlicher Strukturen verbunden war, hat das OLG nicht gesehen. Auch aus der Veranstaltung oder Leitung von Versammlungen unter freiem Himmel ohne Anmeldung ergebe sich nichts anderes. Die Verletzung einer behördlichen Meldepflicht lasse nicht auf eine ablehnende Grundeinstellung zur freiheitlich-demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung schließen.

Zu b) Eine vorläufige Maßnahme (sofortige Untersagung der Amtsgeschäfte) im Hinblick auf eine – mögliche – Verurteilung lässt das Gesetz nicht zu. Sie steht nach der Auffassung des OLG im Widerspruch zum Konzept des § 32 GVG, der eine Amtsenthebung bereits bei Erhebung der Anklage nur zulässt, wenn mit dem Urteil der Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter droht – also vorrangig bei der Begehung von Verbrechen.

Die Entscheidung stellt insgesamt die starke Stellung der ehrenamtlichen Richter heraus, die in einzelnen Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte nicht immer im vergleichbaren Maße eingeschätzt wurde (vgl. etwa Lieber, Amtsenthebung eines Schöffen in NRW. Zum Beschluss des OLG Hamm vom 18.11.2020 – 1 Ws 380/20 – eine Gesamtbetrachtung, RohR 2021, S. 21 ff.). (hl)

Link zum Volltext der Entscheidung

Zitiervorschlag: OLG Zweibrücken: Amtsenthebung – Gröbliche Pflichtverletzung, in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 1, S. 33-34.

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