BGH: Besorgnis der Befangenheit – Anlass der Überprüfung
Ein Schöffe kann nur aufgrund des Gesuches eines Ablehnungsberechtigten im Sinne von § 24 Abs. 3 StPO (hier: Staatsanwalt oder Verteidiger) oder infolge einer Selbstanzeige nach § 30 StPO von der Mitwirkung ausgeschlossen werden. Von Amts wegen findet eine Überprüfung nur hinsichtlich der gesetzlichen Ausschlussgründe nach §§ 22, 23 StPO statt, wenn der Schöffe selbst Verletzter der Straftat ist, in enger Lebensbeziehung zum Beschuldigten oder Verletzten steht, er in der Sache vorbefasst war oder als Zeuge oder Sachverständiger vernommen wurde. (Leitsatz d. Red.)
BGH, Beschluss vom 2.2.2022 – 5 StR 153/21
Sachverhalt: In einem mehrtägigen Verfahren kam eine Schöffin am ersten Verhandlungstag 45 Minuten zu spät, weil sie den Termin vergessen hatte. An einem folgenden Verhandlungstag bat sie die Vorsitzende intensiv um rechtliche Auskünfte für einen Nachbarn in dessen möglichem Strafverfahren, obwohl die Vorsitzende sie eindringlich bat, davon abzusehen, weil sie Rechtsberatung weder geben dürfe noch wolle; außerdem könne es sein, dass sie für den Fall zuständig werden würde. Gegen die Schöffin lagen aus anderen Strafkammern bereits Vermerke über ihr Verhalten vor. In einem Verfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung habe sie geäußert, das Verfahren gehe ihr nicht so nahe, weil der Angeklagte immer mit seinem Verteidiger rumsitze „und Bonbons fresse“. Die Nebenklage vertrat eine Rechtsanwältin, die die Schöffin in einem gegen diese geführten Ermittlungsverfahren verteidigte. Mit dieser Anwältin besprach sich die Schöffin im Anschluss an einen Hauptverhandlungstermin, was der Verteidigerin in diesem Verfahren Anlass für die Prüfung gab, ob die Schöffin wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen sei, auch weil sie sich ihr gegenüber „emotional aufgewühlt“ gezeigt hatte.
Diese Vermerke gab die Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten des gegenständlichen Verfahrens bekannt, die aber keine Anträge stellten. Gleichwohl schloss die Kammer die Schöffin wegen der Besorgnis der Befangenheit aus; ein Ersatzschöffe trat in das Verfahren ein. Daraufhin rügte die Verteidigung die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts, weil die Schöffin nicht von Amts wegen hätte ausgeschlossen werden dürfen. Nunmehr beantragte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft (nachträglich) den Ausschluss der Schöffin wegen der Besorgnis der Befangenheit. Die Kammer half dem Einwand falscher Besetzung des Gerichts durch die Verteidigung nicht ab; das OLG verwarf ihn als unstatthaft. Nach der Verurteilung begründete die Verteidigung die Revision mit der fehlerhaften Besetzung des Gerichts nach dem Eintritt des Ersatzschöffen, weil die Schöffin nicht hätte von Amts wegen ausgeschlossen werden dürfen. Dieser Begründung trat der BGH bei und hob das Urteil auf.
Rechtliche Würdigung: Nach § 24 Abs. 3 StPO können Staatsanwaltschaft und Beschuldigter (Verteidiger) einen Schöffen wegen der Besorgnis der Befangenheit ablehnen. Ohne einen solchen Ablehnungsantrag kommt § 30 StPO zur Anwendung, wenn entweder ein Schöffe von einem Verhältnis (Selbst-)Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, oder wenn Gründe bestehen, dass ein Schöffe von Gesetzes wegen (§§ 22, 23 StPO) ausgeschlossen ist. Eine Selbstanzeige der Schöffin lag nicht vor, auch nicht mit ihrer Mitteilung an die Vorsitzende, das gegen sie geführte Ermittlungsverfahren habe mit dem vorliegenden Strafverfahren nichts zu tun und sie fühle sich nicht befangen. Der Antrag der Staatsanwaltschaft war nicht „unverzüglich“ (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO) und damit nicht wirksam. Nach Ausscheiden der Schöffin und Eintritt des Ersatzschöffen verhandelte das Gericht nicht mehr in der richtigen Besetzung – ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO, der zur Aufhebung des Urteils insgesamt führt.
Anmerkung: Die Entscheidung zeigt, dass Schöffen – die an Befangenheitsentscheidungen nicht mitwirken – selbst mittelbar durch die dem Schutz des Angeklagten dienenden Regeln geschützt werden. Die für die Entscheidung über die Besorgnis der Befangenheit zuständigen Berufsrichter können einen Schöffen nicht ohne einen Antrag des Staatsanwalts oder der Verteidigung (bzw. des Angeklagten) ausschließen, es sei denn, der Schöffe bringt die Umstände selbst ins Spiel oder es liegt ein gesetzlicher Ausschlussgrund vor. Ohne einen solchen Antrag entziehen sich die Verhaltensweisen des Schöffen der Beurteilung durch den oder die Berufsrichter. (hl)
Link zum Volltext der Entscheidung
Zitiervorschlag: BGH: Besorgnis der Befangenheit – Anlass der Überprüfung, in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 1, S. 31-32.