×

M. de Ridder: Wer sterben will, muss sterben dürfen

Beitrag als PDF-Version

Michael de Ridder: Wer sterben will, muss sterben dürfen. Warum ich schwer kranken Menschen helfe, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden. München: Deutsche Verl.-Anstalt 2021. 223 S. ISBN 978-3-421-04877-6, € 20,00

Wer – wie ich – das Sterben eines nahen Menschen begleitet und Worte im Ohr hat: „Wenn es schon zu Ende geht, warum muss es noch so wehtun?“, der nähert sich dem Thema dieses Buches völlig unideologisch, aber nicht minder rational. Der Autor beleuchtet das Thema von vielen Seiten – historisch (Kafka und Freud haben am Ende eines schmerzvollen Weges ihre Ärzte um einen letzten Dienst gebeten), juristisch (als Kläger des 2020 vor dem BVerfG erstrittenen Urteils zur Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB), religiös (die Glaubenskongregation des Vatikans versagt dem Sterbewilligen die Sterbesakramente), standesrechtlich (10 von 17 Ärztekammern untersagen die Sterbehilfe in ihren Berufsordnungen), ethisch und vor allem menschlich.

Das Buch ist getragen von dem Willen, die letzte große Entscheidung, die ein Mensch treffen kann, diesem nicht zu versagen. Kein Arzt, niemand kann genötigt werden, Sterbehilfe zu leisten – aber es kann auch nicht verwehrt werden, den ernsthaften Willen eines Menschen zu erfüllen, dessen Leben seinen Sinn verloren hat und zur unerträglichen Last geworden ist. Kaum einer hat es deutlicher beschrieben als der 83-jährige Feuilletonist, Essayist, Biograf, Romancier und Literaturkritiker Fritz J. Raddatz, den de Ridder zitiert: „Ich bin leergelebt.“ Er hat sich 2015 in der Schweiz, die die aktive Sterbehilfe erlaubt, mit ärztlicher Hilfe suizidiert. Kafka korrigiert unter Schmerzen auf dem Krankenlager die Druckfahnen, die sein Verleger geschickt hat – noch macht das Leben Sinn. Danach fordert er seinen Arzt auf: „Töten Sie mich, sonst sind Sie ein Mörder.“ Mit dem Urteil des BVerfG hat ein Teil der staatlichen Gewalt die auf freiem Willen beruhende Herrschaft des Menschen über sich selbst akzeptiert. Es wundert nicht, dass diejenigen abseitsstehen, die die Herrschaft über den Menschen auch jenseits des Todes beanspruchen – und vom Gesetzgeber einfordern. Vor der Abstimmung im Deutschen Bundestag über anstehende Gesetzentwürfe sollte jeder Abgeordnete dieses Buch gelesen haben. (hl)

Zitiervorschlag: Hasso Lieber, M. de Ridder: Wer sterben will, muss sterben dürfen [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 1, S. 45.

Über die Autoren

Copyright © 2025 laikos.eu