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Mehrfacheinsätze von Schöffinnen und Schöffen – Was ist zu tun?

Von Hasso Lieber, PariJus

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Abstract
Während einer langen Hauptverhandlung kann der Fall eintreten, dass Schöffen zu weiteren Hauptverhandlungen geladen werden. Die Gerichte können organisatorisch vorbeugen; Schöffen müssen sofort reagieren, wenn Nachteile vermieden werden sollen.

During a long main hearing, the case may arise in which lay judges are summoned to further hearings. The courts can take organisational precautions; lay judges must react immediately if disadvantages are to be avoided.

Schon nach wenigen Wochen im Amt traf eine 2024 neu ins Amt gekommene Schöffin beim Landgericht ein nicht alltägliches, aber belastendes Problem: Obwohl sie bereits an einer länger dauernden Hauptverhandlung teilnahm, wurde sie in ein zweites Verfahren geladen, das ebenfalls über mehrere Verhandlungstage angesetzt war. Auf der Facebook-Seite „Ehrenamtliche Richter“ wusste ein Schöffe gar von einem dreifach parallelen Einsatz zu berichten. Wie kommt es dazu? Kann sich ein Schöffe dagegen wehren? Welche Konsequenzen können entstehen?

a. Bei Hauptschöffen kann die Situation einer parallelen Hauptverhandlung vor allem dann eintreten, wenn sie bei der jährlichen Auslosung auf die Hauptverhandlungen verschiedenen Abteilungen (Amtsgerichte) oder Strafkammern (Landgerichte) zugeteilt wurden und der Einsatz in einem längeren Verfahren (sog. Umfangsverfahren) mit zahlreichen Fortsetzungsterminen über den ausgelosten Sitzungstag hinaus in den folgenden Wochen und Monaten andauert. Beginnt in dieser Zeit eine neue Hauptverhandlung an einem Tag, zu dem der Hauptschöffe ebenfalls ausgelost wurde, ist er gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) in mehreren, parallel stattfindenden Hauptverhandlungen. Das nächste Verfahren „überholt“ sozusagen das vorangegangene.

b. Bei Ersatzschöffen liegt der Einsatz in verschiedenen Spruchkörpern in der Natur der Vertretung. Da an jedem Gericht nur eine gemeinsame Liste für die Ersatzschöffen geführt wird, kommen diese in allen Spruchkörpern potenziell zum Einsatz. Findet während der Dauer eines Umfangsverfahrens ein vollständiger Durchlauf der Ersatzschöffenliste statt, kann der Ersatzschöffe durchaus in einem weiteren Verfahren zum Einsatz kommen. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen „Überholens“ hängt vom Umfang der Ersatzschöffenliste und der Zahl der Vertretungsfälle ab. Generell ist dieser Fall jedoch seltener als bei den für monatliche Sitzungen ausgelosten Hauptschöffen.

Grundsätzlich ist jeder einer weiteren Hauptverhandlung zugeloste Hauptschöffe bzw. nach der Ersatzschöffenliste herangezogene Ersatzschöffe der gesetzliche Richter. Der Mehrfacheinsatz ist nach dem Gesetz zulässig. Der Schöffe wird von dem weiteren parallelen Einsatz nicht automatisch von Amts wegen befreit. Er muss handeln, wenn er die Belastung aufgrund mehrerer Verfahren vermeiden will. Unternimmt er nichts, bleibt er Schöffe in dem (oder den) zusätzlichen Verfahren, auch wenn er die zu hohe Belastung erst während der laufenden Hauptverhandlungen feststellt.

Es liegt auf der Hand, dass ein solch massiver Einsatz einen Schöffen vor allem in seiner beruflichen Situation Schwierigkeiten bereiten kann. Davor schützen ihn auch Benachteiligungsverbote wie in § 45 Abs. 1a DRiG nicht. Deshalb sind vor allem durch organisatorische Maßnahmen, aber auch durch Information solche Konfliktsituationen zu vermeiden.
Das Gericht kann bereits durch die Art der Auslosung der Hauptschöffen dafür Sorge tragen, dass Überschneidungen in der Terminierung nicht auftreten. Wenn Hauptschöffen für ein Jahr demselben Spruchkörper zugelost werden, ist eine Ladung zu parallelen Verhandlungen weitgehend ausgeschlossen, weil eine Kammer – oder ein Schöffengericht – selten zwei Umfangsverfahren gleichzeitig terminieren wird. Sollte dies doch ausnahmsweise vorkommen, weil ein Verfahren unvorhergesehen länger dauert und ein neues bereits terminiert ist, fällt dies der Geschäftsstelle auf. Dann hat der Vorsitzende Gelegenheit, im Rahmen seiner Fürsorgepflicht betroffene Schöffen auf ihre Möglichkeiten der Entbindung von der neuen Hauptverhandlung aufmerksam zu machen. Für das Gericht – und den Ersatzschöffen – hat dies den Vorteil, dass eine rechtzeitige Vertretung des Hauptschöffen geregelt werden kann. Das Gericht kann durch gute Organisation unnötige Belastungen der Schöffen (und eigene) vermeiden. Bei Ersatzschöffen ist die Überschneidung von Terminen aus den o. g. Gründen nicht von vornherein zu verhindern. Dann ist es Sache der Geschäftsstelle, auf evtl. Mehrfacheinsätze zu achten und umgehend den Vorsitzenden – bzw. bei entsprechender Beauftragung von sich aus sofort den Schöffen – zu informieren.

a. Gemäß § 54 Abs. 1 GVG kann ein Schöffe von der „Teilnahme an einzelnen Sitzungstagen“ entbunden werden (womit stets eine vollständige, auch mehrtägige Hauptverhandlung gemeint ist). Voraussetzung ist ein Antrag des Schöffen; von Amts wegen findet die Befreiung von einem Verfahren nicht statt. Der Antrag muss mit einem der beiden Befreiungsgründe des § 54 Abs. 1 GVG begründet werden, wenn der Schöffe „durch unabwendbare Umstände an der Dienstleistung gehindert“ ist oder wenn ihm „die Dienstleistung nicht zugemutet werden“ kann. Verhinderung oder Unzumutbarkeit müssen durch Tatsachen belegt werden; der Vorsitzende entscheidet, ob diese Tatsachen einen der Befreiungsgründe rechtfertigen. Überschneiden sich die Sitzungstermine der einzelnen Verhandlungen, liegt regelmäßig ein Fall der Verhinderung durch unabwendbare Umstände vor, da der Schöffe nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein kann und seine Pflicht, an der laufenden Verhandlung teilzunehmen, der Verpflichtung zur Teilnahme an den weiteren Verhandlungen vorgeht. Sind die Sitzungstage so terminiert, dass der Schöffe zwar grundsätzlich an allen Tagen der jeweiligen Verhandlungen teilnehmen könnte, ist er im strengen Sinne zwar nicht unabwendbar verhindert, die Teilnahme wird aber regelmäßig unzumutbar sein.

b. Mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 wurden die Befreiungsgründe in § 54 Abs. 1 GVG präzisiert und dem Vorsitzenden insbesondere bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit ein größerer Spielraum eingeräumt.1 Damit sollte er in die Lage versetzt werden, die jeweilige Situation des Schöffen stärker berücksichtigen zu können.2 Nicht zuletzt deswegen hat der Gesetzgeber die Anfechtung der Entbindung eines Schöffen – etwa durch die Verteidigung – ausgeschlossen (§ 54 Abs. 3 GVG), wodurch die Entscheidung im Normalfall dem Revisionsangriff entzogen wird.3 Eine Anfechtung der Befreiung eines Schöffen im Wege der Revision ist nur möglich, wenn sie objektiv willkürlich war, also die Entscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht.4 Eine Willkür dürfte kaum zu begründen sein, wenn auf die Heranziehung von Schöffen zu mehreren parallelen Hauptverhandlungen verzichtet wird.
Selbst die Teilnahme an drei verschiedenen parallelen Hauptverhandlungen ist möglich, wenn die betroffenen Spruchkörper nur an einem Tag in der Woche oder in zweiwöchigem Rhythmus verhandeln. Eine Belastung, in denen der Einsatz beim Gericht die Präsenz in der beruflichen Tätigkeit übersteigt, ist den Schöffen regelmäßig nicht zuzumuten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass z. B.

  • unterschwellige Benachteiligungen am Arbeitsplatz entstehen, gegen die sich Schöffen nur schwer arbeitsgerichtlich wehren können,
  • bei gleitender Arbeitszeit angesichts der lebensfremden Rechtsprechung des BAG5 Fehlzeiten angesammelt werden, die bei Wahrung der Grenzen des Arbeitszeitgesetzes nicht abgebaut werden können, ggf. auch erhebliche finanzielle Verluste verursachen,
  • Selbstständige in Organisation und Leitung ihres Betriebes Nachteile erleiden.

Solche Beeinträchtigungen müssen dem Vorsitzenden durch tatsächliche Schilderung unterbreitet werden. Hohe Anforderungen werden dabei in aller Regel an die Begründung einer Entbindung von den weiteren Verhandlungen nicht gestellt, da die Unzumutbarkeit offenkundig ist. Wichtig ist in diesen Fällen nur, dass alle Beteiligten von der Situation rechtzeitig Kenntnis haben, insbesondere die Schöffen sofort nach Erhalt einer weiteren Ladung sofort reagieren.


  1. StVÄG 1979, BGBl. I 1978, S. 1645, am 1.1.1979 in Kraft getreten. ↩︎
  2. Oskar Katholnigg, Die gerichtsverfassungsrechtlichen Änderungen durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979, NJW 1978, S. 2375, 2378; Christoph Barthe, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl., 2023, § 54 GVG, Rn. 4; Bertram Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., 2024, § 54 GVG, Rn. 5. ↩︎
  3. Vgl. die amtliche Begründung zu § 54 Abs. 1 Satz 2 GVG, BT-Drs. 8/976, S. 29. ↩︎
  4. Zum Begriff der Willkür vgl. etwa BGH, Urteil vom 10.8.2017, Az.: 3 StR 549/16, HRRS 2017 Nr. 1018 [Abruf: 20.12.2024]. ↩︎
  5. BAG, Urteil vom 22.1.2009, Az.: 6 AZR 78/08, RohR 2009, S. 47 mit Anm. Wolmerath S. 55. ↩︎

Über die Autoren

  • Geschäftsführender Gesellschafter PariJus gGmbH, Rechtsanwalt, Staatssekretär a. D., Generalsekretär European Network of Associations of Lay Judges, 1993–2017 Vorsitzender Bundesverband ehrenamtlicher Richterinnen und Richter e. V., 1989–2022, Heft 1 Redaktionsleitung „Richter ohne Robe“

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