Extremismus – Gesellschaft – Justiz
Ein – nicht nur – literarischer Überblick
Von Hasso Lieber, Rechtsanwalt, PariJus gGmbH
Abstract
Rechtsextremistische oder -populistische Strömungen haben in der öffentlichen Diskussion gerade Konjunktur – angesichts der jüngsten Entwicklungen zu Recht. Bei manchen Beiträgen muss jedoch die Frage gestellt werden, inwieweit eine ebenso inflationäre wie konturlose Debatte den Vertretern extremer Ansichten erst zu Bekanntheit verhilft. Die Redaktion hat sich in der politischen Literatur umgesehen, wo im Dickicht der Wörter Zusammenhänge analysiert werden.
Right-wing extremist or populist movements are currently enjoying a boom in the public discussion – and rightly so, in view of recent developments. However, some contributions raise the question of the extent to which an inflationary and contourless debate is helping the representatives of extreme views to gain notoriety. The editorial team looked around the political literature, where contexts are analysed in the thicket of words.
Die Schöffenwahl 2023 bot Anlass für Medien wie Politik, Warnungen vor „rechter Unterwanderung des Schöffenamtes“ auszusprechen. Diese Hinweise kommen zwar seit etlichen Schöffenwahlen so regelmäßig wie der Monsunregen. An exakten Analysen fehlt es aber noch. So wird der die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auslösende Fall eines ehrenamtlichen Arbeitsrichters – Mitglied einer Fascho-Band – immer wieder bemüht. Dass dieser von einer christlichen Gewerkschaft vorgeschlagen und mangels Sorgfalt im Auswahlverfahren berufen wurde, fällt als Information häufig unter den Tisch. Es kommt nicht allein darauf an, organisierte Verfassungsfeinde zu lokalisieren, sondern bei der Wahl in das Schöffenamt auch den ganz alltäglich faschistoid denkenden Bewerber zu identifizieren. Lediglich die Verfassungstreue in § 45a DRiG ausdrücklich zu erwähnen (so Bundesjustizminister Buschmann, FDP), reicht dabei nicht aus. „Gesetz beschlossen, Problem gelöst“ ist nicht die Marschroute bei der Wahl ehrenamtlicher Richter. Auch der Vorschlag, Interessenten sollten mit der Bewerbung schriftlich erklären, dass sie jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten,1 ist – angesichts der Vereidigung der Schöffen auf Grundgesetz und ggf. Landesverfassung – eher Ausdruck von Hilflosigkeit. In die Diskussion über Auskünfte vom Verfassungsschutz muss man gar nicht einsteigen. Dieser müsste erst eine erweiterte Kompetenz zur Beschaffung der Daten über Privatpersonen erhalten.
Der Blick auf die Schöffenwahl rückt eine Frage in den Vordergrund: Was ist unter „rechts“ eigentlich zu verstehen? Aus der Beschreibung der Sitzordnung im Paulskirchen-Parlament hat sich ein politisches Etikett entwickelt, das inzwischen synonym mit (der Vorstufe zur) Verfassungsfeindlichkeit gebraucht wird. Weil viele Schattierungen von konservativ über rechtspopulistisch bis rechtsradikal und -extremistisch von „rechts“ umfasst werden, verliert der Begriff Inhalt und Schärfe und damit an Handhabbarkeit. Als bloße Abstempelung büßt er die Warnfunktion ein, weil er beliebig wird. Diese Beliebigkeit kommt den zu bekämpfenden Strömungen entgegen, entspricht sie doch weitgehend der fehlenden politischen Programmatik auf der „rechten“ Seite. Gegen Migranten, gegen die Herrschaft aus Brüssel, gegen „die da oben“ – das reicht aus, um Unzufriedene anzusprechen. Wo kein politisches Programm ausgewiesen ist, sind hohe Anforderungen an die politische Analyse erforderlich. Es ist eben schwierig, einen Pudding an die Wand zu nageln.
Einer strategischen Gesamtschau rechtsextremen Gedankenguts von sprachlicher Manipulation bis zur offenen Propagierung von Gewalt widmen sich Herausgeber und Autoren des folgenden Sammelbandes.
Wolfgang Schroeder; Markus Trömmer (Hrsg.): Rechtspopulismus, Zivilgesellschaft, Demokratie. Bonn: Dietz 2021. 330 S. (Schriftenreihe Interdisziplinäre Perspektiven; Bd. 5) € 28,00
Der Blick der Autoren dieses Sammelbandes richtet sich schwerpunktmäßig auf Kommunikationsstrategien, beleuchtet die angestrebte Deutungshoheit über Worte und ihre Zusammenhänge, bevor einzelne gesellschaftliche Bereiche wie Arbeitswelt, Religion oder Sport unter die Lupe genommen werden. Eine Schlüsselstellung nimmt der Beitrag von Schilk über rechte Hegemoniestrategien ein, in dem er auf eine neu-rechte „Metapolitik“ eingeht, d. h. die Festlegung von politischen Prinzipien, aus denen politische Entscheidungen und Zielsetzungen abgeleitet werden können. Der Begriff geht auf den marxistischen Philosophen Antonio Gramsci zurück und beinhaltet insbesondere die Herrschaft über Begriffe und Leitvorstellungen im vorpolitischen Raum. Als zentrale Bereiche rechtspopulistischer Strategien macht Schilk sog. Framing-Konzepte aus, mit denen – zunächst positive bis neutrale – Vorgänge verbal negativ besetzt werden, z. B. die Aufnahme politisch Verfolgter als „Asyltourismus“ oder die Rettung aus Seenot als „Schleusergeschäft“. Framing ist kein rechtspopulistisches Alleinstellungsmerkmal, zeichnet sich dort aber durch politische Mimikry aus. In einem Strategiepapier der AfD heißt es deshalb, dass immer wieder neue Begriffe gebildet und besetzt sowie Meinungskampagnen initiiert werden sollen. Die Beiträge aus einzelnen gesellschaftlichen Bereichen belegen solche Strategien durch „soziale“ Angriffe auf Gewerkschaften, die den „kleinen Arbeiter verraten“ hätten, oder „humoristische“ auf der internen WhatsApp-Gruppe eines Faschingsvereins, in der ein Maschinengewehr mit dem Text „Lehnt bis zu 1.400 Asylanträge in der Minute ab“ gepostet wird. Religiöse Bindungen erleichtern – nach Ergebnissen von US-Studien – die Instrumentalisierung von Vorurteilen, gegen die im kirchlichen Bereich gerade Gegenstrategien entwickelt werden, wie Rebenstorf und Gemmar ausführen. Die Sammlung ist sprachlich, politisch und intellektuell anspruchsvoll. Sie hebt sich mit ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung wohltuend von den vielen politischen Glaubensbekenntnissen ab, die aus dem demokratischen Spektrum oftmals nur als Worthülsen zu vernehmen sind.
Gedanken, Ideologien oder die Umdeutung aller Deutungen bedürfen zum Wirksamwerden der Organisation. Das Potenzial dazu ist weder neu noch unbekannt. 1981 veröffentlichte der SPIEGEL aus einer ihm zugespielten Forschung, die das Bundeskanzleramt in Auftrag gegeben hatte, eine Zahl, die Aufsehen erregte. 13 % der deutschen Bevölkerung habe ein ideologisch geschlossenes Weltbild.2 Für Jahrzehnte war dies mehr, als in einer Partei oder ihren Wahlergebnissen kategorisierbar und identifizierbar war. Im Verfassungsschutz war diese Zahl immer gegenwärtig, weswegen die Aufmerksamkeit nicht nur der parteipolitisch organisierten Aktivität galt. Die Infiltration durch die Rezeption ideologischer Modelle, die den politischen Diskurs aus der Zivilgesellschaft heraus beeinflussen, ist ein ggf. erfolgreicherer Weg der Steuerung des gesellschaftlichen Diskurses. Die Analyse eines solchen ideologisch-organisatorischen Hintergrundes macht ein renommierter Extremismus-Experte zum Gegenstand seines Buches.
Armin Pfahl-Traughber: Intellektuelle Rechtsextremisten. Das Gefahrenpotenzial der Neuen Rechten. Bonn: Dietz 2022. 182 S. € 18,00
Kann ein Netzwerk einzelner Intellektueller (sog. „Neue Rechte“) den rechtsextremen Strömungen eine ideologische Basis und eine strategische Orientierung geben? Der Autor analysiert, inwieweit die Repräsentanten dieses informellen Netzwerks an ideengeschichtliche Klassiker mit antidemokratischen Einstellungen anknüpfen. Eine tiefergehende Befassung mit diesen Vor-Denkern wird den Mitgliedern dieses Netzwerks nicht attestiert. Wie Schroeder/Trömmer (s. o.) findet auch Pfahl-Traughber Anlehnungen an die Philosophie Gramscis. Zwar bestehe eine Nähe des Netzwerks zur sog. Konservativen Revolution (Sammelbegriff für rechtsextreme Strömungen in der Weimarer Republik mit antidemokratischen und ultranationalistischen Zügen); eine eigene programmatische oder ideologische Untermauerung, die eine Leitlinie für das politische Handeln rechtsextremer Gruppen darstellen könnte, fehle dem Netzwerk aber, trotz mannigfacher Berufung auf klassische antidemokratische Vordenker wie Carl Schmitt, Ernst Jünger oder Oswald Spengler. Auch die Gründung eines Instituts für Staatspolitik (IfS) wird im Hinblick auf eine intellektuell-ideologische Basis für die realpolitisch Handelnden als eher erfolglos eingeschätzt. Insgesamt fehlte es an einer konzeptionellen Begründung für die Politik auf der rechtsextremen Seite. Das bloße Etikett „Nazi“ – so der Autor – greife daher nicht, um die „Neue Rechte“ politisch einzuordnen. Gleichwohl vertritt sie eine antidemokratische, antiliberale und nationalistische Staatsauffassung. Die Diffusität dieser politischen Gemengelage ist Schwäche und Stärke zugleich. Als Schwäche wird das Handeln politischer Gruppen wie der AfD auf eine reine Negierung der gegenwärtigen Politik reduziert – ohne sichtbare strukturelle Alternativen. Andererseits erschwert gerade die fehlende ideologische Ausrichtung und die Reduzierung auf aktuelle, deutlich sichtbare Probleme (z. B. die Zuwanderung) einem Teil der Wählerschaft die Erkenntnis der im Kern rechtsextremen Politik. Die politische Konturlosigkeit reduziert – quasi als Spiegelbild – die Zweifel an der Verfassungskonformität dieser Gruppen auf die Menschenwürde, ggf. noch das Sozialstaatsprinzip. Die Auseinandersetzung im Bereich der Rechtsstaatlichkeit und des Demokratieprinzips bleibt eher diffus, auch mangels ähnlich deutlicher Reibungspunkte. In diese Diffusität bringt das Buch Licht, indem es durch Analysen der Vordenker und aktuellen Akteure der Neuen Rechten und ihrer Medien verdeutlicht, wie insbesondere die Besetzung positiver Begrifflichkeiten mit umgedeuteten Inhalten zur politischen Strategie gehört, der sehr viel präziser begegnet werden muss, als mit dem Aufdrücken von „Gegenstempeln“ zu antworten. Die Einschätzung als „nicht fluides Phänomen“, das die Bandbreite von demokratischen bis extremistischen Konservativen umfasst, macht deutlich, dass eine differenzierende Argumentation erforderlich ist. Die plakative, stereotype Einordnung „rechts“ bewirkt nur, dass sich die angesprochene Klientel in dieser „Kritik“ nicht wiedererkennt. Vor allem erschwert die differenzlose Kategorisierung eine Entlarvung der sich entwickelnden Strategie der „Mosaik-Rechten“, die sich in Zusammenarbeit mit und in gesellschaftlichen Organisationen niederschlägt. Auch bei dieser Strategie bedient man sich bei Vorbildern der Linken, wie etwa Johannes Agnoli, einem 68er-Intellektuellen. Deren Strategie ist am zwangsläufigen Auseinanderdriften von Positionen der Handelnden gescheitert; eine von diffusen politischen freie, machtpolitisch aber konsequenten Vorstellungen geprägte Bewegung könnte hier erfolgreicher sein. Zentraler strategischer Angriffspunkt könnte dabei die Instrumentalisierung der Inhaber des Gewaltmonopols sein.
Joachim Wagner: Rechte Richter. AfD-Richter, -Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den Rechtsstaat? 2., aktualisierte u. erw. Aufl. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verl. 2023. 288 S. € 29,00
Wagners Auflistung rechtspopulistischer bis rechtsextremer Neigungen in der Justiz hat sich inzwischen zu einem echten Klassiker entwickelt. Dabei hilft ihm allerdings auch der beständige Zustrom an Beispielsfällen. Ein komplettes neues Kapitel konnte er unter dem Titel „An der Grenze zur Rechtsbeugung“ einfügen, in dem er die Taktik von Amtsrichtern beschreibt, mit der überdehnten Auslegung ihrer Zuständigkeit nicht nur einer abweichenden Meinung zu den Anti-Corona-Maßnahmen Ausdruck zu verleihen, sondern kraft ihres Richteramtes in die Maßnahmen anderer Staatsgewalten einzugreifen. Damit stellt sich zwangsläufig die Frage, wie nicht nur Disziplinarvorgesetzte und Dienstgerichte mit der Entwicklung umgehen, sondern auch Staatsanwaltschaft und Strafgerichte. Traditionell tut sich die Justiz im Umgang mit „Ausreißern“ im eigenen Lager schwer. Inwieweit rechtsextreme Richter die richterliche Unabhängigkeit als Schutzschild gegen Disziplinar- und Strafrecht nutzen können, bedarf einer weiteren genauen Beobachtung.
Im Bereich der Schöffen halten sich die neuen Berichte in Grenzen. Ergänzt wurden Überlegungen über die Möglichkeit von Berufsrichtern, extremistische Äußerungen von Schöffen in der Beratung zum Gegenstand von Ausschlussverfahren zu machen. Hier folgt Wagner der Auffassung, das Beratungsgeheimnis hindere die Vorsitzenden an einer entsprechenden Offenbarung. Die überwiegende Kommentarliteratur hierzu verhält sich anders. Zum Deutschen Richtergesetz weist sie darauf hin, dass das Beratungsgeheimnis keine absolute Geltung besitzt, weil u. a. Straf- oder Disziplinarverfahren sonst nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden könnten. Die gegenteilige Auffassung von Standesorganisationen unterliegt offenbar der Befürchtung, eine Lockerung bei den Schöffen könne ein Einfallstor für Maßnahmen gegen Berufsrichter sein.
Der Autor hält seine Linie bei, bei der Wahl der Schöffen nicht der Hysterie einer Unterwanderung des richterlichen Ehrenamtes zu unterfallen. Stoff wird die Schöffenwahl 2023 gleichwohl bieten, da weniger die – identifizierbaren – organisierten rechtsextremen Bewerber eine Gefahr für das Schöffenamt darstellen als vielmehr durch marginalisierende Darstellungen des Amtes zur Bewerbung motivierte und gewählte Personen. Es dauerte nicht einmal zwei Monate in der neuen Amtsperiode, bis die erste Schöffin wegen eines Aufrufs in den sozialen Medien gegen den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro „Tötet diesen Teufel“ aus einem Prozess ausgeschlossen wurde. Ob daraus die Entlassung aus dem Amt folgt, bleibt zu beobachten. Jedenfalls dürfte die dritte Auflage des Buches nicht lange auf sich warten lassen.
Mehmet Daimagüler; Ernst von Münchhausen: Das rechte Recht. Die deutsche Justiz und ihre Auseinandersetzung mit alten und neuen Nazis. München: Blessing 2021. 591 S. E-Book € 14,99
Das Buch der beiden Rechtsanwälte, die eine Reihe von Opfern rechtsextremer Gewalt vertreten haben, ist im ersten Teil historisch angelegt. Es zeigt die Kontinuität antidemokratischer Kräfte in der Dritten Gewalt, die vom Kaiserreich nahtlos in die erste deutsche Demokratie hinüberglitten, an deren Zerstörung mitwirkten, den Übergang in das NS-System problemlos bewältigten und bis weit in bundesrepublikanische Zeiten die Rechtsprechung mitprägten. Nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ übernahmen die Alliierten mit den Nürnberger Prozessen die juristische Aufarbeitung der Gewaltverbrechen und legten damit den Grundstein des Völkerstrafrechts. Die DDR hatte sich mit den Prozessen im Zuchthaus der sächsischen Kleinstadt Waldheim vom 21. April bis zum 29. Juni 1950 gegen insgesamt 3.442 Personen, die von den sowjetischen Behörden überstellt waren, ihre politische Absolution geschaffen, die – erfolgreich – verbarg, dass auch in der DDR Alt-Nazis auf Straffreiheit rechnen durften, solange sie sich mit der neuen Ordnung arrangierten. Der westdeutsche Staat brauchte lange, um das Terrorsystem der Nazis mit den Mitteln der Justiz aufzuarbeiten. Diese Arbeit ist mit dem Namen des Frankfurter Generalstaatsanwalts Fritz Bauer verbunden, dessen zähem Einsatz der erste Auschwitz-Prozess 1963 ebenso zu verdanken ist wie der Eichmann-Prozess in Israel. Nach dem „Nürnberger Juristenprozess“ 1947 gegen Justizbeamte und Richter des NS-Regimes fand in der Bundesrepublik erst 1967 das einzige Strafverfahren gegen einen NS-Richter (Hans-Joachim Rehse) vor dem LG Berlin statt, das den an mehreren Todesurteilen wegen nichtiger Taten Beteiligten zu einer Zuchthausstrafe von fünf Jahren wegen Beihilfe zum Mord in drei Fällen und Beihilfe zum versuchten Mord in vier Fällen verurteilte. Nachdem der BGH das Urteil aufgehoben hatte, wurde Rehse im zweiten Verfahren vom LG Berlin freigesprochen. Die Autoren rufen ins Gedächtnis, dass noch 1970 der Drahtzieher des Mordes an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht den Schutz der bundesrepublikanischen Justiz gegen den Bericht des Süddeutschen Rundfunks in Anspruch nehmen konnte, an dem Mordkomplott beteiligt gewesen zu sein.
Der zweite Teil des Buches befasst sich mit Verfahren gegen Alt- und Neo-Nazis, an denen die Autoren zum Teil als Nebenklagevertreter beteiligt waren. Beispiele gab es reichlich – von den Brandanschlägen auf Asylbewerberheime zu Beginn der 1990er-Jahre, dem Tod von Oury Jalloh beim Brand in einer Arrestzelle der Polizei, den Gewalttaten des NSU bis zum Mord an dem Regierungspräsidenten Walter Lübcke und dem Anschlag auf die Synagoge 2019 in Halle. Die Autoren wählen einen unemotionalen, beschreibenden Stil extremistischen Gedankenguts in der Gesellschaft. Im staatlichen Bereich richtet sich ihr Blick auf rechtsextreme Strukturen in Polizei und Militär, die genügend Beispiele dafür liefern, welche Anziehungskraft die bewaffnete vollziehende Gewalt auf rechtsextreme Kräfte ausübt. Die Schnittstelle rechtsextremer Gewalttaten mit der Intensität der Arbeit vor allem der Ermittlungsbeamten rückt dabei in den Vordergrund der Betrachtung. „Wir wissen aber nicht“, so die Autoren, „ob dieses Problem ein überschaubares (…) ist, oder ob wir es mit einem strukturellen Problem zu tun haben“ (S. 511). Genau da beginnen Darstellungen und Untersuchungen, interessant zu werden. Die Frage sollte insbesondere die Wissenschaft motivieren, einer Antwort nachzugehen. Hinweise dazu ergeben sich aus dem nächsten Werk.
Jörg Köpke: Unterwandert. Wie Rechte den Rechtsstaat okkupieren. Berlin: Das Neue Berlin 2021. 187 S.
Ein engagierter Journalist hat – mit Unterstützung des mutigen Landespolitikers Dirk Friedriszik – die Erkenntnisse über rechtsextreme Bestrebungen vor allem in Mecklenburg-Vorpommern bei Angehörigen von Polizei, Bundeswehr und Reservisten, der Nachrichtendienste sowie Juristen zusammengetragen. Es begegnen uns eine Reihe bekannter Namen und Ereignisse: Anis Amri und der Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz, der Bundeswehrsoldat Franco A. mit seiner zweiten Identität als Asylbewerber, auch Politiker wie Lorenz Caffier, Ex-Innenminister in Mecklenburg-Vorpommern, den der Erwerb einer Schusswaffe von einem NPD-Mann das Amt kostete, sowie Ex-Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen, den Mann zwischen CDU und AfD, der mit der Beteiligung an einem Grundgesetz-Kommentar lange für Schlagzeilen sorgte – sinnigerweise zum Grundrecht auf Asyl. Von dem nordostdeutschen Land spannen sich Verbindungen über die gesamte Republik. Die Gruppe „Nordkreuz“ aus dem Nordosten bildet mit anderen „Kreuzen“ im Süden und Westen das Hannibal-Netzwerk, das sich aktiv auf den Tag X des Zusammenbruchs der Bundesrepublik vorbereitet. In diesen Netzen kursieren sog. Feindeslisten von Amtsträgern, Politikern und Journalisten. Köpke schildert die teilweise sorglose Naivität von Ermittlungsbehörden und Dienstvorgesetzten im Umgang mit brisanten Erkenntnissen. Vielleicht schaffen lesbare Recherchen wie die vorliegende ein gesellschaftliches wie politisches Bewusstsein über Gegenstrategien bezüglich solcher Netzwerke. Im aktuellen Programm des Verlages wird das Buch derzeit nicht (mehr) angeboten.
Nele Austermann; Andreas Fischer-Lescano; Heike Kleffner; Kati Lang; Maximilian Pichl; Ronen Steinke; Tore Vetter (Hrsg.): Recht gegen rechts. Report 2023.
Frankfurt a. M.: S. Fischer 2023. 352 S. € 20,00
Der jährliche Bericht über rechtsextreme Tendenzen in der Rechtsprechung hat sich einen verdienstvollen Platz mit der Darstellung demokratiefeindlicher Tendenzen erworben. Gerade die Eroberung des staatlichen Gewaltmonopols übt auf die Systemveränderer eine magische Anziehungskraft aus. Deshalb bedürfen Fälle wie der des aus dem Bundestag in die Justiz zurückkehrenden Richters Jens Maier der öffentlichen Darstellung und Erörterung gerade unter dem Aspekt, dass der Minderheitenschutz eine besondere Aufgabe der Rechtsprechung darstellt. Gleiches gilt für die dargestellten Fälle, in denen die Handelnden in der Justiz selbst zwar nicht dem Vorwurf rechtsextremer Gesinnung ausgesetzt sind, es aber an der entsprechenden Behandlung abzuurteilender Sachverhalte fehlen lassen. Angesichts der Schwierigkeiten, die die Justiz bei der Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus hatte, ist eine besondere Sensibilität in diesem Bereich gerechtfertigt. Das entbindet allerdings nicht von sorgfältiger Recherche. Gerade weil Schöffen im Prolog gesondert herausgehoben wurden, lohnt sich eine Nachschau. Dabei fragt sich der sprachkundige Leser, warum die Abhandlung über einen einzigen Schöffen (männlich) im Plural und überkorrekt genderbemüht als gegen „rechte Schöff*innen“ angekündigt wird. Die Nachschau ergibt, dass der geschilderte „Fall“ mit rechts/rechtsextrem/rechtspopulistisch rein gar nichts zu tun hat. Ein Essener Schöffe war des Amtes enthoben worden, weil er sich öffentlich über die unangemessene Behandlung seines Vorsitzenden in der Beratung geäußert und damit nach Auffassung des OLG Hamm erheblich gegen seine Amtspflichten verstoßen hatte. Der Senat hatte allerdings das Seine dazu beigetragen, weil er als Beleg für die Verletzung der Amtspflicht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Amtspflichtverletzung Bezug nimmt. Diese zitierte Entscheidung befasst sich mit dem erwähnten Mitglied der Fascho-Band im Amt des ehrenamtlichen Arbeitsrichters. Nicht nur, dass der Essener Schöffe völlig zu Unrecht – und in dem Beitrag ohne jede diesen Vorwurf begründende Tatsache – in die verfassungsfeindliche Ecke gestellt wird; es wird auch das rechtlich zu beanstandende Verhalten des Berufsrichters gegen in der Hauptverhandlung gleichberechtigte Schöffen in den Hintergrund gedrängt. Ähnlich sorglos wird mit der Darstellung des Abstammungsrechts in Bulgarien und Deutschland verfahren, das noch nicht auf der Höhe der Zeit sein mag, aber mit der gleichzeitigen Erwähnung eines „nationalsozialistischen Erbes“ in der völlig falschen Schublade landet. Wenn „rechts“ wahllos als Stempel verwendet wird, verliert die Warnung vor dem Rechtsextremismus seine Wirkung und wird zur – hinzunehmenden oder gar akzeptierten – Alltäglichkeit.
Zitiervorschlag: Hasso Lieber, Extremismus – Gesellschaft – Justiz. Ein – nicht nur – literarischer Überblick, in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 2, S. 70-73.
- Schöffen gesucht! Wie Rechtsextreme versuchen, das Justizsystem zu unterwandern, Deutschlandfunk vom 3.3.2023 [1.7.2024].[↩]
- Der SPIEGEL vom 16.3.1981, S. 51.[↩]