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Extremismus – Gesellschaft – Justiz

Ein – nicht nur – literarischer Überblick

Von Hasso Lieber, Rechtsanwalt, PariJus gGmbH

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Abstract
Rechtsextremistische oder -populistische Strömungen haben in der öffentlichen Diskussion gerade Konjunktur – angesichts der jüngsten Entwicklungen zu Recht. Bei manchen Beiträgen muss jedoch die Frage gestellt werden, inwieweit eine ebenso inflationäre wie konturlose Debatte den Vertretern extremer Ansichten erst zu Bekanntheit verhilft. Die Redaktion hat sich in der politischen Literatur umgesehen, wo im Dickicht der Wörter Zusammenhänge analysiert werden.

Right-wing extremist or populist movements are currently enjoying a boom in the public discussion – and rightly so, in view of recent developments. However, some contributions raise the question of the extent to which an inflationary and contourless debate is helping the representatives of extreme views to gain notoriety. The editorial team looked around the political literature, where contexts are analysed in the thicket of words.

Die Schöffenwahl 2023 bot Anlass für Medien wie Politik, Warnungen vor „rechter Unterwanderung des Schöffenamtes“ auszusprechen. Diese Hinweise kommen zwar seit etlichen Schöffenwahlen so regelmäßig wie der Monsunregen. An exakten Analysen fehlt es aber noch. So wird der die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auslösende Fall eines ehrenamtlichen Arbeitsrichters – Mitglied einer Fascho-Band – immer wieder bemüht. Dass dieser von einer christlichen Gewerkschaft vorgeschlagen und mangels Sorgfalt im Auswahlverfahren berufen wurde, fällt als Information häufig unter den Tisch. Es kommt nicht allein darauf an, organisierte Verfassungsfeinde zu lokalisieren, sondern bei der Wahl in das Schöffenamt auch den ganz alltäglich faschistoid denkenden Bewerber zu identifizieren. Lediglich die Verfassungstreue in § 45a DRiG ausdrücklich zu erwähnen (so Bundesjustizminister Buschmann, FDP), reicht dabei nicht aus. „Gesetz beschlossen, Problem gelöst“ ist nicht die Marschroute bei der Wahl ehrenamtlicher Richter. Auch der Vorschlag, Interessenten sollten mit der Bewerbung schriftlich erklären, dass sie jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten,1 ist – angesichts der Vereidigung der Schöffen auf Grundgesetz und ggf. Landesverfassung – eher Ausdruck von Hilflosigkeit. In die Diskussion über Auskünfte vom Verfassungsschutz muss man gar nicht einsteigen. Dieser müsste erst eine erweiterte Kompetenz zur Beschaffung der Daten über Privatpersonen erhalten.

Der Blick auf die Schöffenwahl rückt eine Frage in den Vordergrund: Was ist unter „rechts“ eigentlich zu verstehen? Aus der Beschreibung der Sitzordnung im Paulskirchen-Parlament hat sich ein politisches Etikett entwickelt, das inzwischen synonym mit (der Vorstufe zur) Verfassungsfeindlichkeit gebraucht wird. Weil viele Schattierungen von konservativ über rechtspopulistisch bis rechtsradikal und -extremistisch von „rechts“ umfasst werden, verliert der Begriff Inhalt und Schärfe und damit an Handhabbarkeit. Als bloße Abstempelung büßt er die Warnfunktion ein, weil er beliebig wird. Diese Beliebigkeit kommt den zu bekämpfenden Strömungen entgegen, entspricht sie doch weitgehend der fehlenden politischen Programmatik auf der „rechten“ Seite. Gegen Migranten, gegen die Herrschaft aus Brüssel, gegen „die da oben“ – das reicht aus, um Unzufriedene anzusprechen. Wo kein politisches Programm ausgewiesen ist, sind hohe Anforderungen an die politische Analyse erforderlich. Es ist eben schwierig, einen Pudding an die Wand zu nageln.

Einer strategischen Gesamtschau rechtsextremen Gedankenguts von sprachlicher Manipulation bis zur offenen Propagierung von Gewalt widmen sich Herausgeber und Autoren des folgenden Sammelbandes.

Gedanken, Ideologien oder die Umdeutung aller Deutungen bedürfen zum Wirksamwerden der Organisation. Das Potenzial dazu ist weder neu noch unbekannt. 1981 veröffentlichte der SPIEGEL aus einer ihm zugespielten Forschung, die das Bundeskanzleramt in Auftrag gegeben hatte, eine Zahl, die Aufsehen erregte. 13 % der deutschen Bevölkerung habe ein ideologisch geschlossenes Weltbild.2 Für Jahrzehnte war dies mehr, als in einer Partei oder ihren Wahlergebnissen kategorisierbar und identifizierbar war. Im Verfassungsschutz war diese Zahl immer gegenwärtig, weswegen die Aufmerksamkeit nicht nur der parteipolitisch organisierten Aktivität galt. Die Infiltration durch die Rezeption ideologischer Modelle, die den politischen Diskurs aus der Zivilgesellschaft heraus beeinflussen, ist ein ggf. erfolgreicherer Weg der Steuerung des gesellschaftlichen Diskurses. Die Analyse eines solchen ideologisch-organisatorischen Hintergrundes macht ein renommierter Extremismus-Experte zum Gegenstand seines Buches.


Zitiervorschlag: Hasso Lieber, Extremismus – Gesellschaft – Justiz. Ein – nicht nur – literarischer Überblick, in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 2, S. 70-73.

  1. Schöffen gesucht! Wie Rechtsextreme versuchen, das Justizsystem zu unterwandern, Deutschlandfunk vom 3.3.2023 [1.7.2024].[]
  2. Der SPIEGEL vom 16.3.1981, S.  51.[]

Über die Autoren

  • Hasso Lieber

    Geschäftsführender Gesellschafter PariJus gGmbH, Rechtsanwalt, Staatssekretär a. D., Generalsekretär European Network of Associations of Lay Judges, 1993–2017 Vorsitzender Bundesverband ehrenamtlicher Richterinnen und Richter e. V., 1989–2022, Heft 1 Redaktionsleitung „Richter ohne Robe“

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