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Europäischer Tag der Ehrenamtlichen Richter 2023 in Sofia

Von Ursula Sens, PariJus gGmbH

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Abstract
Der Europäische Tag der Ehrenamtlichen Richter 2023 in Sofia bot den Mitgliedsverbänden des Europäischen Netzwerks ENALJ Gelegenheit, aktuelle und strukturelle Entwicklungen des richterlichen Ehrenamtes zu diskutieren. Im Zentrum stand eine Analyse der verschiedenen Systeme der Beteiligung ehrenamtlicher Richter in der Europäischen Union, der sich eine ausgiebige Debatte anschloss. Der Rechenschaftsbericht über die Aktivitäten des Netzwerks innerhalb europäischer Projekte zur Bildungsarbeit für ehrenamtliche Richter war Anlass, die Arbeit der letzten Jahre zu analysieren und Perspektiven für künftige Aufgaben aufzuzeigen.

The European Day of Lay Judges 2023 in Sofia provided an opportunity for member associations of the European Network ENALJ to discuss current and structural developments in the office of lay judges. The focus was on an analysis of the different systems of participation of lay judges in the European Union, which was followed by an extensive debate. The accountability report on the activities within European projects on educational work for lay judges was the occasion to analyse the work of the past years and to point out perspectives for future tasks.

I. Vorbemerkungen

Gastgeber des diesjährigen „Europäischen Tags der Ehrenamtlichen Richter“ vom 12. bis 14. Mai 2023 in Sofia waren die beiden bulgarischen Verbände „Union of Jurors in Bulgaria“ und „Lay Judges Foundation“, die von Mimo Garcia gegründete Stiftung. Drei deutsche Mitgliedsverbände (von fünf) des „Europäischen Netzwerks der Vereinigungen Ehrenamtlicher Richter“ (European Network of Associations of Lay Judges, ENALJ) nahmen in diesem Jahr teil. Der Bund Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen wurde von Marc Würfel-Elberg vertreten, die 2023 beigetretene Vereinigung der Ehrenamtlichen Richterinnen und Richter Mitteldeutschlands e. V. (VERM) von Hasso Lieber und die PariJus gGmbH von Ursula Sens.

Pressekonferenz in der Bulgarian News Agency (BTA) mit Vertretern der bulgarischen Verbände, v.li.n.re.: Svetla Nencheva, Mimo Garcia, Pavlinka Ivanova
Foto: Ursula Sens

Der Anreisetag am Freitag dient traditionell dem informellen Austausch und Kennenlernen der Teilnehmer aus den Mitgliedsverbänden. Der Nachmittag gehörte einer Pressekonferenz der bulgarischen Verbände, an der auch Vertreter der anderen europäischen Verbände teilnahmen. Mimo Garcia erläuterte Mitwirkung und Gleichstellung der Laienrichter in Bulgarien, die dort verfassungsrechtlich verankert sind.1

II. Festveranstaltung

Zum Auftakt der Festveranstaltung zum „Europäischen Tag der Ehrenamtlichen Richter“ begrüßten die bulgarischen Gastgeber ihre Gäste mit folkloristischem Gesang und Tanz, bevor mit Vorträgen und Diskussion zum richterlichen Ehrenamt in Bulgarien („Lay judges – Bridge between citizens and judiciary“) zur Tagesordnung übergegangen wurde.

Den Einstieg in die europäische Debatte bildete ein bemerkenswerter Vortrag des Rechtssoziologen und Kriminologen Prof. Stefan Machura, Bangor University, Wales zum Thema „Lay Judges in the European Union – Developments“.2 Seit langem befasst er sich mit den europäischen Systemen wie den Magistrates (Judges of the peace) in England und Wales oder den ehrenamtlichen Verwaltungsrichtern in Deutschland sowie deren Legitimation. Kaum ein Wissenschaftler verfügt über einen breiteren Erfahrungshorizont zum richterlichen Ehrenamt als er. Aufgrund eigener Forschungen und Beobachtungen befindet er sich auf dem aktuellen Stand, in welcher Form ehrenamtliche Richter in den einzelnen Gerichtsbarkeiten mitwirken.3 Aufschlussreich waren seine Erläuterungen hinsichtlich der Faktoren, die die Beteiligung der Bürger an der Rechtsprechung begünstigen (z. B. Demokratisierung) oder zur Beschränkung der Mitwirkung (Justizreform, Wirtschaftskrisen) führen können. Die einschränkenden Tendenzen wurden in der Diskussion durch Berichte aus den Mitgliedsverbänden bestätigt.

III. Generalversammlung

Die Hl. Sofia im Zentrum der Hauptstadt ist Namensgeberin und Symbol der Stadt. Die Frauenfigur mit einem wehenden Gewand trägt eine goldene Krone und streckt ihre Arme aus. In der rechten Hand hält sie einen Lorbeerkranz als Symbol der Macht; auf dem linken Arm sitzt eine Eule als Symbol der Weisheit.
Foto: Ursula Sens

Im Rahmen der Generalversammlung des Europäischen Netzwerks gab Margherita Morelli, Vizepräsidentin für Schulung und Weiterbildung, einen umfassenden Bericht zur „Schulung der ehrenamtlichen Richter in Europa – Perspektiven und die Rolle von ENALJ – Neue Projekte?“. Dabei wies sie eingangs auf eine am 21./22. April 2016 in Sofia stattgefundene Konferenz des Europarates hin, in der ein Aktionsplan zur Stärkung richterlicher Unabhängigkeit und Unparteilichkeit vorgestellt wurde.4 Anlass der Tagung war ein Bericht, dass in über einem Drittel der Mitgliedstaaten die Normen zur richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, die wichtig für das Vertrauen in die Justiz sind, nicht hinreichend beachtet werden. Als Maßnahmen zur Verbesserung werden auch Aus- und Fortbildung der (ehrenamtlichen) Richter über ihre Pflichten empfohlen. ENALJ betrachte es ebenfalls als Aufgabe, sich regelmäßig über Entwicklungen bezüglich Status und Kompetenzen der ehrenamtlichen Richter sowie spezifische Initiativen in den Mitgliedstaaten auszutauschen. Als Beispiel erwähnte sie die Reform des italienischen Justizsystems, die gravierende Veränderungen durch die Digitalisierung der Justiz bewirken wird. Ohne eine angemessene Fortbildung könnten ehrenamtliche Richter Gefahr laufen, bei diesem Wandel nicht mithalten zu können, sodass ihre Mitwirkung für überflüssig gehalten werden könnte.

Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Viviane Reding, habe bereits 2012 im Europäischen Parlament anlässlich der Verabschiedung der „Europäischen Charta der Ehrenamtlichen Richter” die Fortbildung der ehrenamtlichen Richter – auch in Hinblick auf das EU-Recht – betont. Darüber hinaus seien die „Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union zur verstärkten Anwendung der EU-Grundrechtecharta“ vom 5. März 2021 maßgeblich für gezielte, praktische Maßnahmen wie Schulungen – auch der ehrenamtlichen Richter –, mit denen die Umsetzung der Charta verbessert werden kann.5 Dies sollte auch ENALJ bestärken, die Standards der Beteiligung von ehrenamtlichen Richtern an den Gerichten zu erhöhen und dabei die nationalen Bildungsangebote zu ergänzen. Fortbildung diene ebenso der Stärkung der Fähigkeiten ehrenamtlicher Richter – einschließlich der richterlichen Ethik.

Ausführlich erläuterte Morelli das von der Europäischen Kommission im Rahmen des Justiz-Programms 2014-2020 geförderte Projekt SELECT (StrEnghten Lay and honorary judges European CompeTencies) zur Vermittlung von Kenntnissen über die europäischen Grund- und Menschenrechte (EU-Grundrechtecharta, Europäische Menschenrechtskonvention) und die Bedeutung für das richterliche Ehrenamt. Das Projekt mit Teilnehmern aus Österreich, Belgien, Frankreich, Deutschland und Italien dauerte 24 Monate und endete am 29. November 2022 mit einer internationalen Abschlusskonferenz. 732 ehrenamtliche Richter hatten auf den Fragebogen zur Ermittlung des Schulungsbedarfs geantwortet. Geschult wurden insgesamt 1.733 ehrenamtliche Richter (darunter 497 Teilnehmer in Präsenzveranstaltungen) in insgesamt etwa 73,5 Unterrichtsstunden. Die Webseite des Projekts wurde 90.000 Mal aufgerufen; 20.000 Personen wurden über die sozialen Medien erreicht.6

Aufgrund des erfolgreichen Projekts wurde ein Antrag für ein neues Projekt zum Datenschutz bei der Europäischen Kommission eingereicht mit der Begründung, dass ehrenamtliche Richter in ihrer richterlichen Funktion auch Garanten für den Schutz personenbezogener Daten seien. Daher liege der Schwerpunkt des geplanten Projekts, an dem sich auch ENALJ beteiligen wird, auf praktischen Fragen des Datenschutzes bei der Ausübung des richterlichen Ehrenamtes.

Podium v.li.n.re.: Rainer Sedelmayer (Präsident, Österreich), Margherita Morelli (Vizepräsidentin für Schulung und Weiterbildung, Italien), Rosita Silvestre (Teilnehmerin), Hasso Lieber (Generalsekretär, Deutschland)
Foto: Martin Ivanov

Nachdem das Europäische Netzwerk bei der Tagung 2022 in Poznań einen gewaltigen Schritt nach vorn hinsichtlich struktureller Veränderungen, wissenschaftlicher Ausrichtung und Planung neuer Aktivitäten gemacht hat,7 befindet es sich nunmehr in der Arbeitsphase der Konsolidierung und Umsetzung, die einige Jahre in Anspruch nehmen dürfte. Prof. Piotr Juchacz, Vizepräsident für Wissenschaft und Forschung, der beruflich an der Teilnahme verhindert war, ließ mitteilen, dass Forschungen über die Praxis der Beteiligung ehrenamtlicher Richter in Vorbereitung seien. Hasso Lieber, zuständig für die Fragen richterlicher Ethik, hatte eine Umfrage bei den europäischen Verbänden zum jeweiligen Stand der Diskussion gestartet, zu der aber nur der schwedische Verband Ergebnisse in Form eines Ethikprogramms liefern konnte. Auch dieses Vorhaben wird Anfang 2024 fortgesetzt.

In seinem Schlussstatement zur Generalversammlung bedankte sich Präsident Rainer Sedelmayer bei den Gastgebern und motivierte die Mitgliedsverbände zu weiterer Vertretung der Interessen der ehrenamtlichen Richter, so mühselig sich die Arbeit auch immer gestalten mag. Für das kommende Jahr steht der Veranstaltungsort noch nicht sicher fest; im Gespräch sind Wien und Salzburg.

Dieser Beitrag steht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-NC-ND Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International.


Zitiervorschlag: Ursula Sens, Europäischer Tag der Ehrenamtlichen Richter 2023 in Sofia, in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 2, S. 62-64.

  1. Abgedruckt auf der Webseite der Lay Judges Foundation [Abruf: 25.9.2023].[]
  2. Überarbeitete Fassung des Vortrags: Stefan Machura/Sanja Kutnjak Ivković/Valerie P. Hans, Recent Developments about Lay Judges in the European Union, in dieser Ausgabe S. 54.[]
  3. Verzeichnis der Publikationen [Abruf: 25.9.2023].[]
  4. Plan of action on strengthening judicial independence and impartiality, CM(2016)36 final, Council of Europe, April 2016; Tagungsdokumentation: Strengthening judicial independence and impartiality as a pre-condition for the rule of law in Council of Europe member states, 2018 [Abruf: 25.9.2023].[]
  5. Outcome of proceedings, 8.3.2021 (Nr. 23, S. 9) [Abruf: 25.9.2023].[]
  6. Ausführliche Informationen über SELECT [Abruf: 25.9.2023].[]
  7. Ursula Sens, Europäischer Tag der Ehrenamtlichen Richter 2022 in Poznań – ein Meilenstein, in: LAIKOS Journal Online 2023, Ausg. 1, S. 10-14[]

Über die Autoren

  • Ursula Sens

    Geschäftsführerin PariJus gGmbH, 1994–2018 Vorsitzende Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen – Bund ehrenamtlicher Richterinnen und Richter – Landesverband NRW e. V., 1995–2022, Heft 1 Mitarbeit Redaktion „Richter ohne Robe“

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