OVG Bremen: Amtsentbindung eines ehrenamtlichen Richters
Die Tätigkeit bei einem privatrechtlich organisierten Unternehmen, an dem die öffentliche Hand mehrheitlich beteiligt ist, fällt nicht in den – die Ausübung des richterlichen Ehrenamtes ausschließenden – Bereich von § 22 Nr. 3 VwGO, auch wenn das Unternehmen mit hoheitlichen Aufgaben beliehen ist.
OVG Bremen, Beschluss vom 4.11.2024 – 2 F 269/24
Sachverhalt: Der Antragsgegner (A.) ist ehrenamtlicher Richter am VG der Freien Hansestadt Bremen. Er ist seit Juli 2024 in leitender Funktion bei einer GmbH angestellt, deren Gesellschafter die Freie Hansestadt Bremen, die Stadtgemeinde Bremen und die Stadt Bremerhaven sind. Die Präsidentin des VG beantragte die Entbindung vom Amt als ehrenamtlicher Richter. Er sei aufgrund seines Arbeitsvertrags mit der GmbH als Angestellter im öffentlichen Dienst anzusehen und könne daher gemäß § 22 Nr. 3 VwGO nicht ehrenamtlicher Richter sein. A. will sein Amt als ehrenamtlicher Richter gerne weiterhin ausüben.
Gründe: Der Antrag auf Entbindung des ehrenamtlichen Richters ist unbegründet. Gemäß § 22 Nr. 3 VwGO darf zum ehrenamtlichen Richter nicht berufen werden, wer als Beamter oder Angestellter im öffentlichen Dienst tätig ist. Der ehrenamtliche Richter ist kein im öffentlichen Dienst tätiger Angestellter. Sein privatrechtlich organisierter Arbeitgeber, die GmbH, gehört nicht zum öffentlichen Dienst. Der öffentliche Dienst im Sinne des § 22 Nr. 3 VwGO umfasst vor allem die Tätigkeit bei Bund, Ländern und Gemeinden sowie sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften. Die Tätigkeit bei privatrechtlich organisierten Unternehmen fällt nicht in den Anwendungsbereich des § 22 Nr. 3 VwGO, selbst wenn die öffentliche Hand an ihnen mehrheitlich beteiligt ist, d. h. sie von juristischen Personen des öffentlichen Rechts beherrscht werden. Ein weiter gefasstes Verständnis des Begriffs „öffentlicher Dienst“ ist nach dem Sinn und Zweck des § 22 Nr. 3 VwGO nicht geboten.
Die Gegenauffassung, die die Abgrenzung vom Grad der Beteiligung öffentlich-rechtlich organisierter Körperschaften an einem privatrechtlich organisierten Unternehmen abhängig macht, geht zurück auf die Auslegung des Begriffs „öffentlicher Dienst“ in der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 137 Abs. 1 GG, der die gesetzliche Beschränkung der Wählbarkeit u. a. von Angestellten des öffentlichen Dienstes im Bund, in den Ländern und den Gemeinden erlaubt. Die Vorschrift soll verhindern, dass durch „Personalunion“ die Kontrolleure der Verwaltung sich selbst kontrollieren, indem sie zugleich Aufgaben und Verantwortung innerhalb der Verwaltung wahrnehmen. Dieses Problem entstehe auch, wenn leitende Angestellte eines durch die öffentliche Hand beherrschten privaten Unternehmens gleichzeitig Abgeordnete seien. Auf den formalen Unterschied der Organisationsform komme es nicht an.
Art. 137 Abs. 1 GG ist jedoch auf ehrenamtliche Richter betreffende Unvereinbarkeitsnormen nicht unmittelbar anwendbar. Privatrechtlich organisierte Unternehmen unterliegen – auch wenn sie mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand stehen – in der Regel nicht der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie erfüllen ihre Aufgaben regelmäßig mit Mitteln des Privatrechts. Eine vergleichbare Gefahr von Entscheidungskonflikten und Interessenkollisionen besteht im Fall der ehrenamtlichen Richter, die Angestellte von Unternehmen in öffentlicher Hand sind, daher nicht. Wenn ausnahmsweise Interessenkollisionen zu befürchten sind, kann dies über die Befangenheitsregelungen aufgefangen werden.
Das streng formale Abstellen auf die privat- oder öffentlich-rechtliche Rechtsform des Arbeitgebers hat den Vorteil der Rechtsklarheit. Das Abgrenzungskriterium, ob das Handeln des Arbeitgebers des ehrenamtlichen Richters typischerweise der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt oder nicht, ist praktisch anwendbar. Unerheblich ist auch, ob der ehrenamtliche Richter in dem Unternehmen eine leitende Funktion ausübt oder nicht. § 22 Nr. 3 VwGO enthält mit dem Begriff „öffentlicher Dienst“ ein arbeitgeberbezogenes und mit dem Begriff „Angestellter“ (in Abgrenzung namentlich zum „Arbeiter“) ein beschäftigtenbezogenes Tatbestandsmerkmal, die nicht miteinander vermischt werden dürfen. Gehört der Arbeitgeber nicht zum öffentlichen Dienst, bedarf es keiner weiteren Prüfung, die an die Stellung des ehrenamtlichen Richters bei seinem Arbeitgeber anknüpft. Unerheblich ist, dass das Unternehmen zur Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben (insbesondere im Bereich der Wirtschaftsförderung) in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts beliehen ist. § 22 Nr. 3 VwGO liegt ein organisationsrechtlicher Begriff des öffentlichen Dienstes zugrunde. Demzufolge besteht keine Notwendigkeit, Personen, deren privatrechtliche Arbeitgeber als Beliehene teilweise mit der Ausübung öffentlich-rechtlicher Funktionen betraut sind, generell von der Ausübung der ehrenamtlichen Richtertätigkeit an den Verwaltungsgerichten auszuschließen.
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Hinweis: In einem weiteren Beschluss vom 30.10.2024 (2 F 273/24) hat das OVG Bremen auch einen Antrag der VG-Präsidentin auf Entlassung eines ehrenamtlichen Richters abgelehnt, der als Ingenieur bei einer GmbH beschäftigt ist, an dem ein niedersächsischer kommunaler Verband der Energieversorgung zu 74 % beteiligt ist.
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Anmerkung: Das Problem, inwieweit ein Unternehmen in privatrechtlicher Form (AG, GmbH), an dem die öffentliche Hand eine Mehrheit hält, dem öffentlichen Dienst zuzurechnen ist, ist in zwei Aspekten umstritten. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, dass der Begriff des öffentlichen Dienstes im Interesse der Gewaltenteilung weit auszulegen sei. Dies solle vor allem der Sicherung der Unabhängigkeit der Gerichte dienen. Deshalb gehöre auch ein von der öffentlichen Hand beherrschtes Unternehmen zum öffentlichen Dienst; auf die Rechtsform komme es insoweit nicht an (sog. „Flucht ins Privatrecht“). Die Folge dieser Auffassung wäre, dass die Beschäftigten als Angestellte im öffentlichen Dienst vom richterlichen Ehrenamt in der Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgeschlossen sind (§ 22 Nr. 3 VwGO). Seit dem Ende der 1990er-Jahre hat sich die obergerichtliche Rechtsprechung (OVG/VGH) von dieser Auffassung gelöst und geht nicht mehr von einem generellen Ausschluss der Beschäftigten aus. Diese Rechtsprechung zieht eine andere Trennlinie. Nach Auffassung z. B. der Oberverwaltungsgerichte in Sachsen und Nordrhein-Westfalen sind nur leitende Angestellte einer in privatrechtlicher Rechtsform betriebenen Gesellschaft dem öffentlichen Dienst zuzuordnen, wenn bei der Gesellschaft öffentlich-rechtliche Körperschaften alleinige oder mehrheitliche Gesellschafter sind. Von dieser Trennlinie löst sich das OVG Bremen mit den beiden oben wiedergegebenen Entscheidungen, indem es alle – auch die leitenden – Angestellten nicht mehr dem öffentlichen Dienst zuordnet, in der Folge also als ehrenamtliche Richter am VG und OVG zulässt. Ob diese ehrenamtlichen Richter ein Verständnis in die Rechtsprechung einbringen, das von ihrer Nähe zum Eigentümer des Unternehmens geprägt ist oder eher von einer dieser Nähe entspringenden Sachkunde, wird angesichts des Beratungsgeheimnisses nur schwer rechtstatsächlich zu erforschen sein. (hl)
Zitiervorschlag: OVG Bremen: Amtsentbindung eines ehrenamtlichen Richters, in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 4, S. 164-165.