OLG Köln: Entbindung einer Schöffin aus beruflichen Gründen
- Die Entbindung einer Schöffin von der Hauptverhandlung ist mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter unvereinbar, wenn infolge fehlender Dokumentation nicht erkennbar ist, dass die Vorsitzende ihr Ermessen ausgeübt und die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte abgewogen hat.
- Bestehen berufliche Hinderungsgründe nur für einzelne von mehreren Verhandlungstagen, ist zu prüfen, ob der Verhinderung auf andere Weise Rechnung getragen werden kann.
- Um willkürliche Entscheidungen auszuschließen, ist grundsätzlich erforderlich, dass wenigstens schlagwortartig dokumentiert wird, aus welchen Gründen die Entbindung des Schöffen den Vorzug hat. (Leitsatz d. Red.)
OLG Köln, Beschluss vom 19.8.2024 – 2 Ws 457/24
Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaft erhob gegen die drei Angeklagten Anklage zum LG Köln. Die Kammer hat 26 Hauptverhandlungstage vom 13.8. bis 20.12.2024 bestimmt. Die Verteidigung rügt eine willkürliche Entbindung der Schöffin M. Diese hatte nach der Mitteilung der Verhandlungstermine an das Gericht geschrieben: Am 16.8. haben wir eine Ganztagsfortbildung für 40 Personen im Haus, deren Leitung ich zusammen mit einem teuren Referenten übernehmen muss. Am 20.8. leite ich eine Ganztagskonferenz mit meinem Kollegium. Dies ist Standard, vor dem Schulstart am 21.8. Am 22.8. schule ich in meiner Schule 84 Schulneulinge ein. Auch diese Veranstaltung muss ich leiten. Danach könnte ich den ein oder anderen Termin wahrnehmen, aber nicht alle! Ich bin als Rektorin einer Grundschule gerne bereit, als Schöffin tätig zu sein, allerdings kann ich nicht in dieser engen Taktung. Es fällt jedes Mal Unterricht für meine Schüler aus. Ich habe keine Vertretung, da meine Konrektorin an eine Grundschule abgeordnet wurde, an der weder eine Rektorin noch eine Konrektorin vor Ort ist. Es war mir nicht bewusst, dass man als Schöffin so viele unmittelbar aufeinanderfolgende Termine wahrnehmen muss. Dies kann ich als berufstätige Person nicht leisten. Ich hoffe, dass Sie Verständnis haben und Ersatz für mich finden.
Die Vorsitzende hat die Schöffin M. von der Hauptverhandlung – u. a. am 16., 20. und 22.8.2024 als Hauptverhandlungstage zwei bis vier – entbunden. Eine Begründung oder weitere Dokumentation der Vorsitzenden enthält die Entscheidung nicht. Für M. wurde der Ersatzschöffe C. herangezogen. Die Verteidigung beanstandet, dass die von der Schöffin dargelegten Umstände für sich genommen eine Entbindung aus beruflichen Gründen nicht rechtfertigten. Mangels Dokumentation der Gründe sei auch nicht erkennbar, dass die Vorsitzende eine im Rahmen ihres Ermessens gebotene Abwägung vorgenommen habe. Die Entbindung erweise sich daher als willkürlich. Die Kammer hat dem Einwand nicht abgeholfen und das Verfahren dem OLG zur Entscheidung vorgelegt, das den Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung mit dem Schöffen C. für begründet erachtet.
Gründe: Die Entbindung der Schöffin M. ist nur daraufhin zu überprüfen, ob sie sich als unvertretbar und damit objektiv willkürlich erweist. Willkür liegt vor, wenn die Entbindung der Schöffin sich so weit vom Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt, dass sie nicht mehr gerechtfertigt ist. Die Entscheidung lässt aufgrund des Fehlens jeder Dokumentation der Gründe besorgen, dass sie auf unzureichender tatsächlicher Grundlage ohne die erforderliche Abwägung aller Umstände des Einzelfalls getroffen und die Bedeutung des Rechts auf den gesetzlichen Richter außer Acht gelassen worden ist.
Der Begriff der Verhinderung (§ 54 Abs. 1 Satz 2 GVG) ist streng auszulegen. Bedeutung und Gewicht des Schöffenamtes verlangen, dass der Schöffe in zumutbaren Grenzen berufliche und private Interessen zurückstellt. Während der mit Ortsabwesenheit verbundene Erholungsurlaub ein Umstand ist, der in der Regel zur Unzumutbarkeit der Dienstleistung führt, rechtfertigen berufliche Gründe nur ausnahmsweise die Verhinderung eines Schöffen. Bei der Anerkennung der Unzumutbarkeit sind die Belange des Schöffen, der Verfahrensstand und die voraussichtliche Dauer des Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen abzuwägen. Dabei sind die hohe Bedeutung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, die strengen Maßstäbe des § 54 Abs. 1 GVG sowie die formalen Anforderungen an die Überzeugungsbildung zu beachten. Nur die ausreichende Dokumentation ermöglicht – soweit die Unzumutbarkeit der Dienstleistung nicht auf der Hand liegt – eine Überprüfung der Ermessensentscheidung am Maßstab der Willkür. Dies gilt jedenfalls bei einer Verhinderung aus beruflichen Gründen.
Für eine Verhinderung kommen nur Berufsgeschäfte in Betracht, die ein Schöffe nicht oder nicht ohne erheblichen Schaden für sich oder den Betrieb aufschieben oder sich nicht vertreten lassen kann oder kein geeigneter Vertreter zur Verfügung steht. Für welche der von der Schöffin angezeigten Tage (16., 20. und 22.8.2024) die Vorsitzende diese Voraussetzungen als erfüllt erachtet hat und/oder ob sie der pauschal angezeigten Schwierigkeit der Teilnahme Bedeutung beigemessen hat, kann der Senat infolge der fehlenden Darlegung der Entscheidungsgründe nicht beurteilen. Die pauschale Angabe, als Rektorin einer Grundschule nicht alle weiteren 22 Verhandlungstage wahrnehmen zu können, ist auch unter Mitteilung der Abordnung der Konrektorin nicht ausreichend, eine beachtliche Verhinderung zu tragen. Für eine sorgfältige Prüfung waren nähere Darlegungen einzuholen, welche konkreten Auswirkungen auf den Schulbetrieb die Teilnahme an den Hauptverhandlungstagen hätten.
Hinsichtlich der für einzelne Tage benannten Hinderungsgründe dürfte eine ausreichende Grundlage jedenfalls für den 22.8.2024 nicht gegeben sein. Dass die Vertretung bei der Einschulung durch eine Lehrkraft ausgeschlossen sein soll, erschließt sich nicht ohne Weiteres. Gewisse Nachteile für den Schulbetrieb sind zur Wahrung des Rechts auf den gesetzlichen Richter in zumutbaren Grenzen hinzunehmen. Diese wären bei bloßem Ausbleiben der Begrüßung von Erstklässlern und deren Eltern durch die Schulrektorin unter möglicher Angabe der gewichtigen Hinderungsgründe noch nicht überschritten, zumal der zeitliche Umfang der Tätigkeit bei der Einschulungsveranstaltung nicht näher dargelegt worden ist, sodass unklar bleibt, ob ein späterer Beginn der auf diesen Tag terminierten Hauptverhandlung in Betracht gekommen wäre.
Hier wäre zu prüfen gewesen, ob bei 26 Verhandlungstagen einer nur kurzfristigen Verhinderung auf andere Weise – Verschiebung bzw. Aufhebung der betroffenen Verhandlungstage unter Wahrung der Unterbrechungsfrist des § 229 StPO – hätte Rechnung getragen werden können. Es liegt auch kein Fall vor, in dem die Gebotenheit der Entbindung offenkundig ist und sich von selbst versteht, sodass selbst kurze Darlegungen der Vorsitzenden entbehrlich gewesen wären. Zur Zeit der Entbindung waren Zeugen auf diese Termine noch nicht geladen, keiner der Angeklagten befindet sich in U-Haft, sodass keine gesteigerten Beschleunigungserfordernisse, die über die allgemein im Strafverfahren zu beachtenden Anforderungen hinausgehen, zu berücksichtigen waren.
Link zum Volltext der Entscheidung
Zitiervorschlag: OLG Köln: Entbindung einer Schöffin aus beruflichen Gründen, in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 4, S. 162-164.