Thüringer LSG: Amtsentbindung aus Gründen der Inkompatibilität
Abgeordnete und Regierungsmitglieder sind nach dem Sozialgerichtsgesetz nicht ausdrücklich vom Amt eines ehrenamtlichen Richters ausgeschlossen. Trotzdem widerspricht eine Amtsausübung dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung. (Leitsatz d. Red.)
Thüringer LSG, Beschluss vom 15.11.2024 – L 3 SF 626/24
Sachverhalt: Die ehrenamtliche Richterin H beim LSG wurde am 1.9.2024 in den Thüringer Landtag gewählt. Daher ist sie nach §§ 35, 22 Abs. 1 Satz 3 und § 17 SGG vom Amt zu entbinden.
Gründe: Es liegt ein Ausschließungsgrund entsprechend § 17 SGG vor. Zwar sind Abgeordnete und Regierungsmitglieder im SGG – anders als in der Verwaltungsgerichtsordnung (§ 22 Nr. 1 VwGO) und der Finanzgerichtsordnung (§ 19 Nr. 1 FGO) – nicht ausdrücklich von der Wahrnehmung des Amtes eines ehrenamtlichen Richters ausgeschlossen. Nach allgemeiner Ansicht können sie gleichwohl nicht ehrenamtliche Richter am SG sein, weil dies dem Grundsatz der Gewaltenteilung widerspräche. Der in § 22 VwGO enthaltene Grundgedanke ist hinsichtlich eines Abgeordneten auf das sozialgerichtliche Verfahren ohne Weiteres übertragbar. § 22 VwGO enthält eine Regel zur Durchsetzung des Gewaltenteilungsprinzips. Eine Ausprägung dieses Prinzips ist die personelle Gewaltenteilung, die sog. Inkompatibilität. Sie ist zwar im Grundgesetz nicht lückenlos durchgehalten. Die rechtsprechende Gewalt unterliegt jedoch einer stärkeren Abschirmung gegenüber den anderen Gewalten. Die Notwendigkeit, die Rechtsprechung durch „besondere“ Organe des Staates auszuüben, verbietet eine personelle Verflechtung zwischen der Gerichtsbarkeit und den anderen Staatsgewalten. Es gilt der Grundsatz der personellen Trennung zwischen den Gewalten. Die richterliche Neutralität darf nicht durch eine mit diesem Grundsatz unvereinbare persönliche Verbindung zwischen Ämtern der Rechtspflege und der Verwaltung oder der Gesetzgebung in Frage gestellt werden. Auf einfachgesetzlicher Ebene ist der Grundsatz der personellen Trennung zwischen den Gewalten für Berufsrichter durch die umfassende Inkompatibilitätsvorschrift des § 4 Abs. 1 DRiG verwirklicht. Danach darf ein Richter nicht zugleich Aufgaben der rechtsprechenden Gewalt und solche der gesetzgebenden oder der vollziehenden Gewalt wahrnehmen. Grund hierfür ist die besondere Stellung der rechtsprechenden Gewalt, die berufen ist, die beiden anderen Staatsgewalten zu kontrollieren. Da die ehrenamtlichen Richter in der Sozialgerichtsbarkeit an der Ausübung der Rechtsprechung teilhaben, ist die entsprechende Anwendung des § 4 Abs. 1 DRiG hinsichtlich der Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften geboten.
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Zitiervorschlag: Thüringer LSG: Amtsentbindung aus Gründen der Inkompatibilität, in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 4, S. 159-160.