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J. Theurer: 75 Jahre Grundgesetz: Das fragile Gleichgewicht

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Erwartungsgemäß ist die Literatur zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes umfangreich. Den vorliegenden Titel hat die Redaktion ausgewählt, weil er in Aufbau und Analyse sehr systematisch, in der die ehrenamtlichen Richter betreffenden Staatsgewalt – der Judikative – auch sehr typisch ist. Das Buch beginnt mit einem historischen Aufriss der Gewaltenteilung als zentralem Demokratiemerkmal und der Entstehung des Grundgesetzes nach dem 2. Weltkrieg. Kritisch wird dabei bemerkt, dass gerade der Träger aller Staatsgewalt, das Volk, nur unwesentlichen Anteil an beiden historischen Zeitpunkten der Verfassungsentstehung ausüben konnte – 1949 noch nachvollziehbar als gewolltes Provisorium, gar als Notbau deklariert (so Carlo Schmid im Parlamentarischen Rat), 1990 weniger verständlich als bloßer „Beitritt“ der DDR zum Grundgesetz definiert, was 34 Jahre später in seinen Auswirkungen mehr denn je spürbar ist. Die Wahlergebnisse des Jahres 2024 sind nur ein Anhaltspunkt hierfür.
Man kann dem Verfasser nicht vorwerfen, in die üblichen Lobeshymnen „eines Geschenks der besten Verfassung“ einzustimmen. Die Analyse der drei Staatsgewalten, die der historischen Darstellung folgt, wird durchaus kritisch vorgenommen. In der Legislative wird die Abhängigkeit der Abgeordneten – insbesondere mit geringer oder fehlender beruflicher Qualifikation – vom Mainstream in Partei und Fraktion ebenso gewürdigt wie die jenseits föderaler Zweckbestimmung häufig benutzte Blockadefunktion des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren. Die Aufgaben der Exekutive prüft der Autor an Eckpunkten wie Staatsleitung, Außenpolitik, Gesetzesinitiativrecht, Auflösung des Bundestages durch die Bundesregierung sowie des materiellen Prüfungsrechts des Bundespräsidenten auf die Verfassungskonformität von Gesetzen, bevor er diese unterzeichnet. Auch hier lässt er es an Hinweisen nicht fehlen, dass von dieser Kompetenz nur zögerlich Gebrauch gemacht wird.
Die Rolle der Judikative wird anhand der Arbeit des Bundesverfassungsgerichts analysiert, diese auch unter dem zunehmenden Einfluss des Europäischen Gerichtshofs. Die Beschränkung der Darstellung führt dazu, dass zur Rechtsprechung die Frage der Beteiligung des (Staats)Volkes, wiewohl in Art. 20 Abs. 2 GG ebenso erwähnt, nicht mehr aufgeworfen wird. Dabei verdient gerade dieser vernachlässigte und schwindende Bereich, ins Bewusstsein gerufen zu werden. Hervorzuheben ist, dass das Buch in der Sprachwahl und im Aufbau mit Merkposten und Zusammenfassungen lernfreundlich gestaltet ist. (hl)


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