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VG Gießen: Anfechtung der Aufstellung der Vorschlagsliste

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1. Beschlüsse der Gemeindevertretung über die Vorschlagsliste können von Personen, die der Vertretung nicht angehören, nicht angegriffen werden. Ein subjektiv-öffentliches Recht des Dritten, das durch diese Beschlussfassung verletzt wird, besteht nicht.

2. Die Gemeindevertretung kann bei der Aufstellung der Vorschlagsliste auf Vorschläge der Fraktionen oder anderer Vereinigungen – z. B. der Ortsbeiräte – zurückgreifen und Selbstbewerbungen berücksichtigen.

3. Dass in die Vorschlagsliste mindestens doppelt so viele Personen aufzunehmen sind, wie als Schöffen nach § 43 GVG erforderlich sind (§ 36 Abs. 4 GVG), dient nicht dem Schutz einzelner Kandidaten. Damit soll eine echte Auswahl durch den Wahlausschuss gewährleistet werden.

Sachverhalt: Der Antragsteller (ASt.) wendet sich gegen die von der Stadtverordnetenversammlung (SVV) beschlossene Vorschlagsliste zur Schöffenwahl. Der Stadt waren 18 Schöffen zugewiesen. Interessenten konnten sich bis zum 15.3.2023 bewerben. Die bis dahin eingegangenen 22 Bewerbungen wurden an den jeweiligen Ortsbeirat gesandt, ergänzt um die 2018 vom Ortsbeirat gemachten Vorschläge zur damaligen Schöffenwahl. Aus den Listen sollten die Ortsbeiräte Vorschläge für die endgültige Vorschlagsliste machen. Diese wurden im Verhältnis der Einwohner in die Beschlussvorlage zur Vorschlagsliste aufgenommen und der SVV zur Entscheidung vorgelegt, die den Vorschlag am 20.6.2023 annahm.
Am 25.6.2023 legte der ASt. gegen den Beschluss „Widerspruch“ ein. Am 3.7.2023 erhob der Bürgermeister Widerspruch mit der Begründung, dass sich (nunmehr) deutlich mehr Personen für die Aufnahme in die Vorschlagsliste gefunden hätten und diese daher noch aufzunehmen seien. Die SVV hob am 19.7.2023 aufgrund des Widerspruchs des Bürgermeisters den Beschluss auf und beschloss erneut über die Vorschlagsliste, in die alle nunmehr in der Beschlussvorlage genannten 50 Personen aufgenommen wurden. Nach erneutem „Widerspruch“ gegen die Vorschlagsliste reichte der ASt. einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beim VG ein. Er fechte die Aufnahme der nachträglich aufgenommenen Personen an. Die Ausschreibung stelle den alleingültigen Anlass zur Bewerbung für die Vorschlagsliste dar. Durch die Aufnahme weiterer Personen sei seine Chance, bei der Schöffenwahl gewählt zu werden, deutlich verringert.

Gründe: Der Antrag wird als zumindest unbegründet zurückgewiesen. Dem Bürger ist keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle der Verwaltung eingeräumt. Rechtsschutz ist nur möglich, wenn eine Betroffenheit in eigenen Rechten vorliegt. Der ASt. gehört der SVV nicht an und ist deshalb durch den Beschluss nicht verletzt. Soweit er darauf verweist, durch den Beschluss sei seine Chance, tatsächlich gewählt zu werden, verringert worden, erwächst ihm hieraus kein Anspruch. § 36 Abs. 4 GVG, wonach in die Vorschlagslisten mindestens doppelt so viele Personen aufzunehmen sind, wie als erforderliche Zahl von Schöffen nach § 43 GVG bestimmt sind, soll den Auswahlgremien die Möglichkeit einer echten individuellen Auswahl unter den Kandidaten geben.
Der Beschluss vom 19.7.2023 ist offensichtlich rechtmäßig zustande gekommen. Das GVG enthält keine Vorgaben, auf welche Weise eine Kommune geeignete Personen findet, die in die Vorschlagsliste aufgenommen werden. Die Gemeinde ist in der Zusammenstellung grundsätzlich frei, soweit nicht § 31 Satz 2 und §§ 32 bis 34 GVG einer Wahl entgegenstehen. Sie kann auf Vorschläge der Fraktionen zurückgreifen oder Vorschläge von anderen Vereinigungen, z. B. der Ortsbeiräte, oder Selbstbewerbungen berücksichtigen. Der Gefahr, dass die Parteien bei einer solchen individuellen Vorauswahl der Schöffen durch politische Entscheidungsträger ihr Benennungsrecht missbrauchen und einseitig auf die Zusammenstellung der Schöffenliste Einfluss nehmen, wird durch das Erfordernis der Zwei-Drittel-Mehrheit ausreichend begegnet.
Auch Personen, die sich nicht unmittelbar bei der Stadt bis zum 15.3.2023 beworben haben, sind in die Vorschlagsliste aufzunehmen. Schließlich kann in den Sitzungen der SVV die Vorschlagsliste noch um Personen ergänzt oder davon abgesehen werden, einzelne Bewerber aufzunehmen, da der SVV die Entscheidung über die Aufnahme in die Vorschlagsliste obliegt. Insoweit ist die SVV auch nicht an Fristen gebunden.
Soweit die Vorschlagsliste mehr als die zugewiesenen 18 Personen, nämlich 50 Personen enthält, führt dies ebenfalls nicht zur Unwirksamkeit der Vorschlagsliste, da sich die SVV insoweit an die gesetzlichen Vorgaben hält. Gemäß § 36 Abs. 4 GVG sind in die Vorschlagsliste mindestens doppelt so viele Personen aufzunehmen, wie als erforderliche Zahl von Schöffen nach § 43 GVG bestimmt sind. Um von einer Wahl sprechen zu können, müssen mehr Personen vorgeschlagen werden als zu wählen sind. Die Anzahl der in die Vorschlagsliste aufzunehmenden Personen orientiert sich gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 GVG an der Einwohnerzahl und darf deshalb seitens der Gemeinde nicht verändert werden.

Besprechung: Hasso Lieber: Die Schöffenwahl 2023 im Lichte der Rechtsprechung, in dieser Ausg. S. 67.


Zitiervorschlag: VG Gießen: Anfechtung der Aufstellung der Vorschlagsliste, in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 2, S. 82-83.

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