S. Jacob: Handelsgerichtsbarkeit
Sebastian Jacob: Handelsgerichtsbarkeit. Zur Entstehung des Fachrichtertums zwischen Laienexpertise, Verfahrensförmlichkeit und staatlichem Verfahrensmonopol und ihr Einfluss auf die moderne KfH. 1. Aufl. Baden-Baden: Nomos-Verl.-Ges. 2021. 256 S. (Schriften zum Prozess- und Verfahrensrecht; Bd. 7) ISBN Print 978-3-8487-8584-1, € 72,00; E-Book (kostenfrei) DOI: doi.org/10.5771/9783748929994
Das Buch setzt bei den Ursprüngen der Handelsgerichtsbarkeit an, beginnend mit der Entstehung des städtischen Gemeinwesens in Oberitalien Anfang des 10. Jahrhunderts als Triebfeder für die Herausbildung einer speziellen kaufmännischen Gerichtsbarkeit. Fachkenntnisse über Handelsbräuche, Gewohnheitsrecht und lokales Recht kamen dem Bedürfnis nach einem schnellen Urteil eher entgegen als ein formelles Verfahren nach römischem/kanonischem Recht. Mit der Ausweitung des Mittelmeerhandels brachten italienische Kaufleute handelsgerichtliche Organisationsformen nach Südfrankreich und zu den Messeplätzen in der Champagne. Handelsplätze erhielten eigene, mit Kaufleuten besetzte Handelsgerichte. In Deutschland – zunächst mit Schwerpunkt im süddeutschen Raum – entwickelte sich die Handelsgerichtsbarkeit über Marktgerichte, Stadtgerichte, Gildegerichte, den sog. Hansgraf, der auf Fernreisen über Streitigkeiten der Kaufleute zu entscheiden hatte, bis zu speziellen handelsrechtlichen Spruchkörpern. Schrittmacher einer eigenständigen Handelsgerichtsbarkeit war die Stadt Nürnberg mit den am 14.03.1503 von Maximilian I. erteilten Privilegien. Im Nürnberger Marktgewölbe und im Bankoamt verfestigte sich für Handelssachen das Prinzip, Gerichte mit fachlich kompetenten Kaufleuten zu besetzen. Wegbereiter für Rechtskodifikationen waren die französischen Könige. Mit dem „Code de commerce“ (1808) als Teil des Code Napoléon wurden auch Regelungen für mit Fachrichtern besetzte Handelsgerichte getroffen. Diese hielten mit der französischen Besetzung auch vorübergehend Einzug in Deutschland. Mit dem Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.01.1877 entstanden nach heftigen Diskussionen im Bundesrat keine selbstständigen Handelsgerichte, sondern die Kammern für Handelssachen (KfH) als spezielle Kammern in den Landgerichten, besetzt mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern als sog. Handelsrichter.
Die 2020 an der Universität Passau vorgelegte Dissertation verdeutlicht die Entwicklungsstufen der Handelsgerichtsbarkeit zur heutigen KfH, die der Autor als „Balance zwischen Fach- und Rechtskenntnis“ (S. 214) charakterisiert. Dem umfangreichen geschichtlichen Teil folgen Wesensmerkmale und derzeit diskutierte Fragestellungen der KfH wie sinkende Fallzahlen, Möglichkeit der Einzelentscheidung durch den Vorsitzenden der Kammer, branchen-/fachspezifische Besetzung der KfH mit Handelsrichtern versus Zuteilung aus einem Pool. Aktuelle Reformen für die Zukunft der KfH sieht der Autor in einem Verfahrensrecht, das – in historischer Tradition – vor allem auf einen beschleunigten und kostengünstigen Prozess ausgerichtet sein muss. (us)
Zitiervorschlag: Ursula Sens, S. Jacob: Handelsgerichtsbarkeit [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 1, S. 39.