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Basiswissen für den Start ins Schöffenamt

Von Ursula Sens, PariJus gGmbH

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Abstract
Der Beitrag versteht sich als Einführung für Schöffen, die sich auf ihre erste Hauptverhandlung vorbereiten wollen. Er soll Verständnis und Verantwortungsbewusstsein für ihre Rolle und Aufgaben wecken und Handlungskompetenz vermitteln. Ihre Rechte, Pflichten und Mitwirkungsmöglichkeiten sowie ihr Einfluss auf Verfahren und Urteil während der Hauptverhandlung werden erläutert.

This article is intended as an introduction for lay judges who want to prepare for their first main trial. It is intended to raise understanding and a sense of responsibility for their role and tasks and to provide them with the competence to act. It explains their rights, duties and opportunities for participation as well as their influence on the proceedings and judgement during the main trial.

Von den über 100.000 ehrenamtlichen Richtern sind etwa 60.000 in der Strafgerichtsbarkeit tätig. Diese werden traditionell als Schöffen bezeichnet. Als Mitglieder eines Kollegialgerichts entscheiden sie gemeinsam und gleichberechtigt mit den Berufsrichtern über Schuld und Strafe, d. h. ob dem Angeklagten die Tat durch die vorhandenen Beweise nachgewiesen werden kann – und wenn ja, welche Strafe schuldangemessen ist. Das Schöffenamt ist ein staatliches Ehrenamt, mit dem die Zivilgesellschaft an der Ausübung von staatlicher Gewalt mitwirkt. Die zentrale Vorschrift im Grundgesetz lautet:

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“

(Art. 20 Abs. 2 GG)

Die gleichberechtigte Stellung der Schöffen wird durch ihren Einfluss auf Verfahren und Urteil deutlich. Sie haben das Recht, Fragen an Angeklagte, Zeugen und Sachverständige zu stellen, Anregungen zur Beweisaufnahme zu geben und an allen Beratungen und Abstimmungen teilzunehmen. Dazu müssen sie kommunikations- und argumentationsfähig sein, d. h. einen eigenen Standpunkt entwickeln und diesen klar und verständlich formulieren, aber auch zuhören und angemessen reagieren können. Juristische Kenntnisse benötigen Schöffen nicht; diese bringt der Berufsrichter mit. Die meisten der zu entscheidenden Fragen sind ohnehin tatsächlicher und nicht rechtlicher Natur. Ob ein Zeuge die Wahrheit sagt, das Geständnis des Angeklagten oder seine Reue glaubhaft, ein Gutachten plausibel ist, müssen sie mit Logik, Lebenserfahrung und Menschenkenntnis selbstständig beurteilen.

Auch wenn Schöffen keine ausgebildeten Juristen sein müssen, gehört die Kenntnis der rechtsstaatlichen Säulen des Strafverfahrens zur Allgemeinbildung. Schöffen sind unabhängig in der Meinungsbildung – sich nur der Auffassung der Berufsrichter anzuschließen, wird ihrer Verantwortung und Rolle nicht gerecht. Sie dürfen sich weder von Zu- oder Abneigungen noch von der Berichterstattung in den Medien beeinflussen lassen. Jeder Angeklagte hat ein Recht darauf, dass ihm Berufsrichter wie Schöffen unvoreingenommen gegenübertreten. Sie kennen den Grundsatz der Unschuldsvermutung: Solange ein Angeklagter nicht rechtskräftig verurteilt ist, gilt er als unschuldig – mag der Fall noch so eindeutig erscheinen. Der Angeklagte hat das Recht zu schweigen; kein Angeklagter muss sich selbst belasten oder an seiner Verurteilung mitwirken. Bei einer Verurteilung kommt es nicht darauf an, „hart“ oder „milde“ zu bestrafen, sondern „schuldangemessen“. Bei der Entscheidung über die Rechtsfolgen einer Tat (z. B. Geld- oder Freiheitsstrafe, Strafaussetzung zur Bewährung, Entziehung der Fahrerlaubnis) müssen die Schöffen Menschen einschätzen können im Hinblick auf die Wirkung der verhängten Sanktionen. Jugendschöffen mit erzieherischer und sozialer Kompetenz müssen beurteilen können, welche Maßnahme einen Jugendlichen oder Heranwachsenden wieder auf den richtigen Weg bringen und eine kriminelle Karriere verhindern kann, da das Jugendstrafrecht vorrangig am Erziehungsgedanken orientiert ist.

Die neu gewählten Schöffen finden sich in einem Amt wieder, das ein gesundes Selbstbewusstsein, Mut zum Richten über andere Menschen erfordert und vor allem auch Wissen über ihre Aufgabe. Das Amt verlangt ihnen oftmals einiges ab, wenn sie nicht nur „dabeisitzen“ und die Entscheidungen der Berufsrichter „abnicken“ wollen.

In dem Beitrag werden die jeweiligen gesetzlichen Regelungen im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), im Deutschen Richtergesetz (DRiG), in der Strafprozessordnung (StPO) und im Jugendgerichtsgesetz (JGG) angegeben. Als ergänzende Verwaltungsvorschriften regeln die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) den Informationszugang für Schöffen sowie die Unterstützung durch die Berufsrichter. Diese Hinweise dienen nicht der Ausbildung von Schmalspur-Juristen, sondern ermöglichen das Nachlesen der entsprechenden Vorschrift, wenn etwa strittige Fragen auftreten.

Das Strafverfahren im engeren Sinn (sog. Erkenntnisverfahren) wird in drei Abschnitte eingeteilt:

  • Das Ermittlungsverfahren wird eingeleitet, wenn die Staatsanwaltschaft oder eine ihr gleichgestellte Ermittlungsbehörde (z. B. die Straf- und Bußgeldstelle des Finanzamts in Steuerstrafsachen) aufgrund einer Strafanzeige oder von Amts wegen Kenntnis von Tatsachen erlangen, die den Verdacht einer Straftat begründen. Nach Erforschung des Sachverhaltes stellt die Staatsanwaltschaft entweder das Verfahren ein oder sie erhebt bei hinreichendem Tatverdacht Anklage beim zuständigen Gericht.
  • Das Gericht prüft im Zwischenverfahren die Ermittlungsergebnisse und entscheidet über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens.
  • Im zentralen Abschnitt des Strafprozesses – dem Hauptverfahren – wird der Sachverhalt, der Gegenstand der Anklage ist, in umfassender Beweisaufnahme in einer (mündlichen) Hauptverhandlung geklärt. Das Gericht entscheidet über die Schuld des Angeklagten und ggf. die Rechtsfolgen.

In den sog. Tatsachengerichten – Amts- und Landgerichte – wirken Schöffen und Jugendschöffen mit. Gegen die Urteile können Rechtsmittel eingelegt werden, mit dem das Urteil durch ein höheres Gericht überprüft wird. Urteile des Amtsgerichts können mit der Berufung zum Landgericht oder sofort mit der (Sprung-)Revision zum Oberlandesgericht angefochten werden. Erstinstanzliche Urteile des Landgerichts (Große Strafkammer) können (nur) mit der Revision zum Bundesgerichtshof angefochten werden; für die Revision gegen die (Berufungs-)Urteile der Kleinen Strafkammer ist das Oberlandesgericht zuständig. In den Revisionsgerichten gibt es keine Schöffen, da die Urteile nur auf rechtliche Fehler überprüft werden; die durch das vorherige Gericht festgestellten Tatsachen sind für das Revisionsgericht bindend.

Abb. 1

Beim Amtsgericht gibt es zwei Arten von Spruchkörpern: Strafrichter und Jugendrichter als Einzelrichter sowie Schöffen- und Jugendschöffengericht als Kollegialgerichte.

Der Strafrichter verhandelt über 90 % der amtsgerichtlichen Strafverfahren gegen Erwachsene. Er ist zuständig, wenn Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu erwarten ist. Das Schöffengericht (1 Berufsrichter, 2 Schöffen) ist für mittlere bis schwere Kriminalität zuständig und kann bis zu vier Jahren Freiheitsstrafe verhängen (§ 24 GVG); bei umfangreicheren Verfahren kann ein weiterer Berufsrichter hinzugezogen werden (§ 29 Abs. 2 GVG, sog. erweitertes Schöffengericht). Die Einschätzung der Zuständigkeit trifft der Staatsanwalt mit der Klageerhebung. Hält das Gericht – auch aufgrund der Erkenntnisse im Laufe der Hauptverhandlung – seine Strafgewalt nicht für ausreichend, gibt es das Verfahren an das höhere Gericht ab. In Bezug auf den Strafrichter ist das Schöffengericht „höheres Gericht“.

Für Verfehlungen Jugendlicher (14–17 Jahre) und Heranwachsender (18–20 Jahre) ist der Jugendrichter zuständig, der Erziehungsmaßnahmen und Zuchtmittel, bei der Feststellung sog. schädlicher Neigungen oder besonderer Schwere der Schuld im Höchstfall bis zu einem Jahr Jugendstrafe verhängen kann (§ 39 JGG). Das Jugendschöffengericht (1 Berufsrichter, 2 Jugendschöffen) ist zuständig für alle Verfehlungen, die nicht ausdrücklich zur Zuständigkeit eines anderen Jugendgerichts gehören (§ 40 JGG), z. B. der Jugendkammer nach § 41 JGG. Eine bestimmte Obergrenze der Strafgewalt für das Jugendschöffengericht ist nicht vorgesehen. Die Jugendstrafe beträgt grundsätzlich von sechs Monaten bis zu fünf Jahren (§ 18 Abs. 1 Satz 1 JGG). Ist die Tat ein Verbrechen, das nach allgemeinem Strafrecht im Höchstmaß mit mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, ist Jugendstrafe bis zu zehn Jahren zulässig (§ 18 Abs. 1 Satz 2 JGG). Auf Heranwachsende wird Jugendstrafrecht angewandt, wenn die sittliche und geistige Entwicklung einem Jugendlichen gleichstand oder es sich bei der Tat um eine typische Jugendverfehlung handelte.

Die Spruchkörper des Landgerichts werden als Strafkammern bezeichnet. Sowohl Große als auch Kleine Strafkammern sind Kollegialgerichte, sodass Schöffen an allen Hauptverhandlungen teilnehmen.

Die Große Strafkammer des Landgerichts ist in allgemeinen Strafsachen erstinstanzlich für schwere und schwerste Kriminalität und Verfahren von besonderer Bedeutung zuständig (§ 74 GVG). Sie kann auf zeitige Freiheitsstrafe bis zu 15 Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe erkennen, zusätzlich die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder Sicherungsverwahrung anordnen. Für einzelne Kammern gibt es Spezialzuständigkeiten (Wirtschaftsstraf-, Staatsschutzkammer, Schwurgericht). Die Kammern sind mit 2 Berufsrichtern und 2 Schöffen, in umfangreicheren Strafverfahren und als Schwurgericht (bei vorsätzlichen Tötungsdelikten) mit 3 Berufsrichtern und 2 Schöffen besetzt (§ 76 GVG).
Die Große Jugendkammer verhandelt in erster Instanz die in § 41 JGG aufgeführten Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende, in denen z. B. Kapitalverbrechen angeklagt oder Erwachsene mitangeklagt sind, für deren Taten die Große Strafkammer zuständig wäre. Die Jugendkammer verhandelt mit 2 oder 3 Berufsrichtern und 2 Jugendschöffen, bei Kapitalverbrechen immer in der Besetzung 3:2 (§ 33b Abs. 2 JGG). Der Strafrahmen beträgt sechs Monate bis fünf Jahre bzw. bei Kapitaldelikten zehn Jahre Jugendstrafe. Wird ein Heranwachsender des Mordes schuldig gesprochen, beträgt das Höchstmaß 15 Jahre, wenn dies wegen der besonderen Schwere der Schuld erforderlich ist (§ 105 Abs. 3 Satz 2 JGG). Die Große Jugendkammer ist als Jugendschutzkammer zuständig, wenn es um Straftaten Erwachsener an Kindern und Jugendlichen geht (§§ 26, 74b GVG).

Gegen die Urteile des Amtsgerichts ist die Berufung zulässig. In dieser zweiten Tatsacheninstanz werden ggf. alle Beweise neu erhoben und gewürdigt. Für die Berufung gegen Urteile des Amtsgerichts ist in allgemeinen Strafsachen die Kleine Strafkammer des Landgerichts (1 Berufsrichter, 2 Schöffen) zuständig (§ 76 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GVG). Hat das erweiterte Schöffengericht das Urteil gefällt, wird auch in der Berufung ein zweiter Berufsrichter hinzugezogen. In Jugendstrafsachen ist für die Berufung gegen Urteile des Jugendrichters die Kleine Jugendkammer (1 Berufsrichter, 2 Jugendschöffen), gegen Urteile des Jugendschöffengerichts die Große Jugendkammer (2 oder 3 Berufsrichter, 2 Jugendschöffen) zuständig (§ 41 Abs. 2 JGG).

Hauptschöffen und Ersatzschöffen sind für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt (§ 36 Abs. 1 GVG). Dauert die Hauptverhandlung über das Ende der regulären Amtsperiode hinaus, bleiben sie bis zu deren Abschluss im Einsatz (§ 50 GVG). Die vom Schöffenwahlausschuss bestimmte Funktion als Haupt- oder Ersatzschöffe bleibt während der gesamten Amtsperiode bestehen; nur in wenigen gesetzlich geregelten Fällen erfolgt ein Wechsel vom Ersatz- zum Hauptschöffen.
Schöffen dürfen nur ein Schöffenamt am Amts- oder Landgericht ausüben (§ 77 Abs. 4 GVG). Wurde der Schöffe vom Schöffenwahlausschuss in mehrere Listen gewählt, muss er das Amt ausüben, zu dem er zuerst einberufen wird. Die gleichzeitige Ausübung eines richterlichen Ehrenamtes in einer anderen Gerichtsbarkeit ist zulässig.

Hauptschöffen werden für das ganze Geschäftsjahr im Voraus auf die ordentlichen Sitzungstage des Gerichts ausgelost (§ 45 Abs. 1 GVG). In der Regel handelt es sich um zwölf Sitzungstage im Jahr (§ 43 Abs. 2 GVG), an denen eine Hauptverhandlung beginnen kann. Auf diese vorab mitgeteilten Termine müssen sich Hauptschöffen einstellen. Für Sitzungstage, an denen tatsächlich eine Hauptverhandlung beginnt, erfolgt ca. zwei Wochen vorher eine Ladung, ggf. mit der Information über Fortsetzungstermine. Falls ein Termin nicht stattfindet, sollte das Gericht eine Abladung schicken, was aber nicht jedes Gericht tut. Ist ca. 14 Tage vor dem potenziellen Termin keine Ladung eingegangen, empfiehlt sich eine Nachfrage bei der Schöffengeschäftsstelle.

Der Ersatzschöffe ist kein Schöffe 2. Klasse, sondern wird nach einem anderen Modus herangezogen (§ 49 GVG). Die Häufigkeit seines Einsatzes ist nicht vorhersehbar. Vorrangig tritt er bei Entbindung des Hauptschöffen vom Sitzungsdienst an dessen Stelle, ggf. kurzfristig telefonisch. Ersatzschöffen kommen weiter zum Einsatz, wenn

  • für einen Spruchkörper eine außerordentliche Sitzung anberaumt wird,
  • im Laufe des Jahres ein neuer Spruchkörper eingerichtet wird oder
  • Ergänzungsschöffen benötigt werden.

Für die gesamte Amtszeit wird eine Ersatzschöffenliste in fester Reihenfolge geführt. Zum Einsatz kommt jeweils der Schöffe, der bei Entstehen des Einsatzfalles an erster Stelle auf der Liste steht. Nach seinem Einsatz oder bei Nichterreichbarkeit rückt er an das Ende der Liste und wird erst wieder herangezogen, wenn er an die erste Stelle der Liste vorgerückt ist.
Wird ein Hauptschöffe von der Schöffenliste gestrichen, z. B. weil er verstorben ist oder seinen Wohnsitz im Landgerichtsbezirk aufgegeben hat, rückt ein Ersatzschöffe an seine Stelle. Dieser wird in die Hauptschöffenliste aufgenommen und erhält die (Rest-)Termine für das Geschäftsjahr. Als Hauptschöffe wird er nunmehr jährlich auf die ordentlichen Sitzungstage des Gerichts ausgelost. Bei Terminüberschneidungen des zum Hauptschöffen gewordenen Ersatzschöffen haben bereits erfolgte Heranziehungen als Ersatzschöffe Vorrang (§ 52 Abs. 5 GVG).

Ergänzungsschöffen werden aus der Ersatzschöffenliste vorsorglich bei Hauptverhandlungen von längerer Dauer – sog. Umfangsverfahren – von Beginn an zusätzlich herangezogen für den Fall, dass ein Hauptschöffe wegen Krankheit, Besorgnis der Befangenheit oder aus sonstigen Gründen aus dem Spruchkörper ausscheidet (§§ 48, 192 Abs. 2, 3 GVG). An Beratung und Entscheidungen nimmt der Ergänzungsschöffe erst teil, wenn er für den verhinderten Hauptschöffen als Mitglied des Gerichts nachrückt, darf aber während der Beweisaufnahme Fragen stellen.

Schöffen sind in der Hauptverhandlung gleichberechtigte Richter und wirken nicht nur an dem Urteil mit, sondern auch an Entscheidungen im Laufe der Hauptverhandlung, die den Gang des Verfahrens betreffen (§§ 30 Abs. 1, 77 Abs. 1 GVG). Wenn sie ausnahmsweise nicht an einer Entscheidung mitwirken dürfen, ist dies ausdrücklich gesetzlich geregelt. Schöffen sind Richter wie die Berufsrichter und tragen folglich die Verantwortung für die Entscheidungen des Gerichts in vollem Umfang mit.

Schöffen genießen wie die Berufsrichter die richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG, entsprechend: § 25 DRiG, § 1 GVG). Das bedeutet, dass sie nur durch die Entscheidung eines Gerichts gegen ihren Willen von der Schöffenliste gestrichen (§ 52 GVG) oder wegen einer gröblichen Amtspflichtverletzung ihres Amtes enthoben (§ 51 GVG) werden können. Sie sind frei von Weisungen (z. B. bei Abstimmungen) und sonstiger Einflussnahme. Zur richterlichen Unabhängigkeit gehört das sog. Spruchrichterprivileg (§ 839 Abs. 2 BGB). Verletzt ein Richter (Schöffe) bei dem Urteil seine Amtspflicht, haftet er für den entstandenen Schaden nur dann, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat (Rechtsbeugung, Bestechlichkeit u. ä.) besteht. Dieses Privileg gilt nicht, wenn der Schöffe die Ausübung seines Amtes verzögert (zu spät oder nicht zum Verhandlungstermin erscheint) oder gänzlich verweigert. Deshalb ist die Auferlegung des Ordnungsgeldes und der verursachten Kosten in diesen Fällen zulässig.

a. Der verfassungsrechtliche Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) bedeutet, dass die Besetzung des Gerichts vorher abstrakt feststehen muss. Deshalb werden die Hauptschöffen für das gesamte Jahr im Voraus ausgelost. Das Prinzip bewirkt, dass Schöffen beim Einsatz nicht übergangen („geparkt“) werden dürfen und dass sie im Grundsatz verpflichtet sind, den Ladungen Folge zu leisten und an den Hauptverhandlungen teilzunehmen. Eine Hauptverhandlung kann aus mehreren Sitzungstagen bestehen, an denen die Schöffen ohne Unterbrechung – von der ersten bis zur letzten Sekunde – teilnehmen müssen. Die falsche Besetzung des Gerichts ist ein absoluter Revisionsgrund. Wenn Schöffen während der Hauptverhandlung einnicken oder schlafen, werden sie als nicht anwesend angesehen; ggf. müssen Teile der Hauptverhandlung wiederholt werden, während derer der Schöffen geschlafen hat. Haupt- und Ersatzschöffen müssen erreichbar sein und das Gericht über einen Wohnungswechsel informieren; ansonsten verletzen sie ihre Obliegenheiten. Auch an der Arbeitsstelle sollte die telefonische Erreichbarkeit sichergestellt werden, z. B. für kurzfristige Abladungen.

b. Erscheint ein Schöffe ohne genügende Entschuldigung nicht oder nicht pünktlich zur Hauptverhandlung, kann ein Ordnungsgeld verhängt werden (§ 56 Abs. 1 GVG). Dies hat zwingend zur Folge, dass auch die durch die Säumnis entstandenen Verfahrenskosten zu tragen sind. Bei einer Verspätung hält die Rechtsprechung eine Wartezeit des Gerichts von 15 Minuten für zumutbar. Wenn der Schöffe nicht rechtzeitig im Gericht erscheinen kann, weil er z. B im Stau steht, sollte er die Schöffengeschäftsstelle telefonisch benachrichtigen. Nachträglich kann sich ein Schöffe noch entschuldigen, wenn er an der rechtzeitigen Benachrichtigung gehindert war. Genügt die Entschuldigung, kann die Entscheidung ganz oder teilweise zurückgenommen werden.

a. Ein Schöffe kann von einzelnen Sitzungstagen entbunden werden, wenn er durch unabwendbare Umstände an der Dienstleistung gehindert ist oder wenn ihm ein Erscheinen bei Gericht nicht zugemutet werden kann (§ 54 Abs. 1 GVG). Ein unabwendbarer Umstand kann z. B. eine schwere Erkrankung mit Bettlägerigkeit sein. Unzumutbar kann die Dienstleistung z. B. bei Ortsabwesenheit wegen eines bereits gebuchten Urlaubs sein oder wenn der Urlaub zu einer anderen Zeit nicht möglich ist. Die Dienstleistung als Schöffe hat grundsätzlich Vorrang vor privaten Anlässen, wie etwa einer Familienfeier.
Für die Befreiung von einem Termin muss der Schöffe rechtzeitig einen Antrag stellen, über den der zuständige Richter – in aller Regel der Vorsitzende des Spruchkörpers – zu entscheiden hat. Die Entbindung des Schöffen und der Einsatz des Ersatzschöffen müssen exakt dokumentiert werden. Das Gericht kann einen Nachweis vom Schöffen fordern, um die Gründe für die Entbindung glaubhaft zu machen. Der Verteidiger hat das Recht, die richtige Besetzung der Richterbank mit Schöffen zu prüfen und seine Revision auf eine fehlerhafte Befreiung vom Termin zu stützen.
Wurde der Schöffe von der Dienstleistung entbunden, kann seine Entbindung nicht rückgängig gemacht werden, weil etwa der geplante Urlaub nicht stattfindet.

b. Kann der Schöffe krankheitsbedingt einer Ladung nicht nachkommen, sollte er dies rechtzeitig der Schöffengeschäftsstelle mitteilen. Aber nicht jede Erkrankung begründet die Befreiung von einem Termin. Die ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit ist zur Vorlage beim Arbeitgeber bestimmt und sagt nichts darüber aus, ob ein Erscheinen bei Gericht nicht möglich ist (z. B. bei einer verstauchten Hand). Der Schöffe hat dem Vorsitzenden ggf. einen Nachweis über seine Verhandlungsunfähigkeit zu erbringen. Ein ärztliches Attest genügt ohne Angabe einer Diagnose als Nachweis der Erkrankung, solange nicht konkrete Umstände darauf hindeuten, dass der Schöffe sich aus unerlaubten Gründen der Dienstleistung entzieht.1 Die Kosten für das Attest werden erstattet.

c. Bei der Befreiung aus beruflichen oder betrieblichen Gründen wird ein strenger Maßstab angelegt, da der Arbeitgeber zur Freistellung des Schöffen verpflichtet ist. Für die Entbindung des Schöffen muss ein wichtiger Grund vorliegen, z. B. schwerwiegende wirtschaftliche Folgen für den Betrieb. Die Befreiung von einem Termin muss vom Schöffen beantragt werden – nicht vom Arbeitgeber.

d. Der Erholungsurlaub führt regelmäßig zur Unzumutbarkeit der Dienstleistung, insbesondere wenn der Urlaub nur während der Betriebs- oder Schulferien genommen werden kann. Zunächst muss sich aber ein Hauptschöffe bei seiner Urlaubsplanung auf die mitgeteilten Termine einstellen und sollte den Urlaub erst buchen, wenn er vom Termin entbunden wurde. Wurde bereits vor Benachrichtigung über potenzielle Termine ein Urlaub gebucht, ist eine Entbindung unproblematisch und sollte umgehend der Schöffengeschäftsstelle mitgeteilt werden; ggf. ist eine Buchungsbestätigung vorzulegen. Probleme können entstehen, wenn die Hauptverhandlung länger dauert als vorgesehen und Fortsetzungstermine in den Urlaub des Schöffen fallen. Erhält der Schöffe bereits mit der Ladung Kenntnis von Fortsetzungsterminen, kann er für die gesamte Hauptverhandlung entbunden werden. Werden Fortsetzungstermine einer laufenden Hauptverhandlung kurzfristig erforderlich, kann dem Schöffen zugemutet werden, für einen Tag aus dem Urlaub zurückzukehren, um durch die Teilnahme an einem Sitzungstag die Höchstunterbrechungsfrist (max. 21 Tage, ausnahmsweise für 30 Tage) zu wahren.

Schöffen werden zu Beginn ihrer Tätigkeit in öffentlicher Sitzung des Gerichts vereidigt (§ 45 Abs. 3 bis 5 DRiG), das Gelöbnis steht dem Eid gleich; als Mitglied einer Religions- oder Bekenntnisgemeinschaft kann dem Eid bzw. Gelöbnis eine Beteuerungsformel angefügt werden. Damit bekräftigen sie ihre Bindung an Gesetz und Recht, insbesondere an die Verfassung. Schöffen erhalten die Eidesformel schriftlich zum Ablesen. Die Vereidigung gilt für die gesamte Dauer der Amtszeit. Bei einer sich direkt anschließenden Amtsperiode ist keine erneute Vereidigung erforderlich. Ohne Vereidigung können Schöffen nicht wirksam an der Hauptverhandlung teilnehmen. Wenn sie den Eid verweigern, verletzen sie ihre Amtspflicht.

Schöffen sind wie die Berufsrichter zu Neutralität, Unparteilichkeit und Objektivität verpflichtet. Das Verhalten innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung, ggf. Kleidung oder (Unmuts-)Äußerungen können die Besorgnis der Befangenheit (§ 24 Abs. 2 StPO) begründen. Vor Beginn der Hauptverhandlung (Gerichtsflur) oder in Verhandlungspausen (Gerichtskantine) sollten Schöffen Distanz zu anderen Personen halten und insbesondere nicht mit Verfahrensbeteiligten sprechen. Auch scherzhafte Bemerkungen könnten missverstanden werden.
Kontakte zu Vertretern der Presse sind absolut tabu. Für die Information über einen Strafprozess ist der Pressesprecher des Gerichts zuständig. Auch Kommentare zu einem laufenden Verfahren oder Äußerungen in den sozialen Medien sollten unterbleiben. Strafverteidiger recherchieren vor wichtigen Strafprozessen die Namen der Schöffen im Internet und könnten bereits zu Beginn der Hauptverhandlung einen Befangenheitsantrag stellen, der zum „Platzen“ des Strafprozesses führen kann.

Das Rechtsstaatsprinzip ist ein elementares Prinzip des Grundgesetzes. Als zentrale Vorschrift hierfür wird Art. 20 Abs. 3 GG angesehen, der festschreibt, dass die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden ist. Neben der Bindung an die Grundrechte sind die Gewaltenteilung, der Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Bestimmtheitsgebot, der Vertrauensschutz sowie der effektive Rechtsschutz weitere Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips. Der Staat darf nicht ohne gesetzliche Grundlage in die Rechte der Bürger eingreifen; staatliches Handeln soll für die Bürger vorhersehbar sein.
Schöffen haben sich wie die Berufsrichter bei ihren Entscheidungen am geltenden Recht zu orientieren. Da sie die gesetzlichen Vorschriften in der Regel nicht kennen, müssen die Berufsrichter erläutern, wann rechtliche Begrifflichkeiten eindeutig definiert sind und keinen Raum für eine persönliche Wertung lassen, und in welchen Fällen unbestimmte Rechtsbegriffe, Generalklauseln und offene Tatbestände erhebliche Interpretations- und Wertungsspielräume eröffnen (vgl. Nr. 126 Abs. 2 RiStBV). Im Gegenzug müssen die Schöffen rechtliche Hinweise der Berufsrichter akzeptieren. Auch wenn der Schöffe eine gesetzliche Regelung nicht teilt und sie für ungerecht hält (z. B. die Strafbarkeit des „Schwarzfahrens“), ist er ihr gleichwohl unterworfen.

Über die öffentliche Hauptverhandlung können sich Schöffen nach deren Ende öffentlich äußern; über Beratung und Abstimmung (wer wie argumentiert oder abgestimmt hat) haben sie – auch nach dem Ende ihrer Amtszeit – zu schweigen (§§ 43, 45 Abs. 1 DRiG). Das gilt auch für Privat- oder Geschäftsgeheimnisse, die in nichtöffentlicher Hauptverhandlung erörtert werden. Das Beratungsgeheimnis soll die Unabhängigkeit des Gerichts schützen.

Der Schöffe ist nach § 22 StPO vom Verfahren ausgeschlossen, wenn er

  • selbst durch die Straftat verletzt ist;
  • Ehegatte, Vormund oder Betreuer des Beschuldigten oder des Verletzten ist oder war;
  • mit dem Beschuldigten bzw. Verletzten in gerader Linie verwandt oder verschwägert sowie in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war;
  • in der Sache, in der er als Richter tätig werden soll, bereits als Zeuge oder Sachverständiger vernommen worden ist.

Ein gesetzlicher Ausschluss liegt ebenfalls vor, wenn der Schöffe in einer früheren Instanz als Schöffe an einer Verhandlung in dieser Sache mitgewirkt hat (§ 23 Abs. 1 StPO).

Ein Schöffe kann wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 31 Abs. 1 StPO). Die Beurteilung, ob die Besorgnis einer Befangenheit vorliegt, wird danach vorgenommen, ob der Ablehnungsberechtigte von seinem Standpunkt aus bei verständiger Überlegung Grund zu der Annahme hat, dass die innere Haltung des Schöffen die erforderliche Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit zu einem Verfahrensbeteiligten störend beeinflussen kann. Hat ein Schöffe Bedenken, ob ein Umstand geeignet ist, Zweifel an seiner Objektivität zu begründen, hat er dies dem Vorsitzenden umgehend mitzuteilen. Es muss keine tatsächliche Befangenheit vorliegen; eine Besorgnis reicht aus. Wird gegen einen Schöffen ein Befangenheitsantrag gestellt, muss er sich zu den vorgeworfenen Tatsachen dienstlich (schriftlich) äußern. Zu den Gründen, die Misstrauen wecken können, hat die Rechtsprechung einige Fallgruppen herausgearbeitet, die zur Befangenheit des Schöffen führen können, wie Äußerungen, Verhalten, Erscheinungsbild (Kleidung), privates Wissen über den Angeklagten. So haben Gespräche mit der Staatsanwaltschaft oder der Verteidigung (auch mit deren Praktikanten), Briefe oder E-Mails an den Verteidiger und sogar die Verteilung von Süßigkeiten an Verfahrensbeteiligte (Schokolade am Nikolaustag) zu Befangenheitsanträgen geführt.

Ein Schöffe kann für die gesamte Amtsperiode von Amts wegen oder auf seinen Antrag von der Schöffenliste gestrichen werden (§ 52 GVG). Wenn nachträglich Gründe eintreten oder bekannt werden, nach denen der Schöffe nicht hätte gewählt werden dürfen (Unfähigkeit nach § 32 GVG, Ungeeignetheit nach §§ 33, 34 GVG), erfolgt die Streichung von Amts wegen (§ 52 Abs. 1 GVG). Wenn der Schöffe verstorben ist oder aus dem Landgerichtsbezirk verzogen ist, ordnet der zuständige Richter die Streichung an (§ 52 Abs. 3 GVG).
Der Schöffe wird auf Antrag von der Schöffenliste gestrichen, wenn er während eines Geschäftsjahres an mehr als 24 Sitzungstagen an Sitzungen teilgenommen oder seinen Wohnsitz im Amtsgerichtsbezirk aufgegeben hat (§ 52 Abs. 2 GVG). Der Antrag auf Streichung des Hauptschöffen wird nur für Sitzungen wirksam, die später als zwei Wochen nach dem Eingang des Antrags bei der Schöffengeschäftsstelle beginnen. Ist dem Ersatzschöffen bereits eine Ladung zu einem Sitzungstag zugegangen, wird seine Streichung erst nach dem Ende dieser Hauptverhandlung wirksam.
Entstehen während der Amtsperiode nachträglich Gründe zur Ablehnung des Schöffenamtes (§§ 52 Abs. 1, 35 GVG), z. B. die persönliche Fürsorge für die Familie (wenn ein Pflegefall in der Familie eingetreten ist) oder die Gefährdung der wirtschaftlichen Lebensgrundlage, müssen diese innerhalb einer Woche nach Bekanntwerden vom Schöffen geltend gemacht werden (§ 53 Abs. 1 GVG).

Bei gröblicher Verletzung seiner Amtspflichten ist der Schöffe seines Amtes zu entheben (§ 51 GVG). Die Entscheidung trifft ein Strafsenat des Oberlandesgerichts auf Antrag des für die Angelegenheiten der Schöffen zuständigen Richters beim Amts- bzw. Landgericht nach Anhörung der Staatsanwaltschaft und des betroffenen Schöffen. Pflichtverletzungen sind z. B. die fehlende Verfassungstreue (etwa bei sog. Reichsbürgern) oder die beharrliche Weigerung der Teilnahme an der Hauptverhandlung.

a. Schöffen müssen von Anfang an dem Prozessverlauf folgen können. Die Berufsrichter sollen dazu beitragen, dass sie die ihnen vom Gesetz zugewiesene Aufgabe erfüllen können. Sie haben die Verhandlung so zu führen, dass die Schöffen ihr folgen können (Nr. 126 Abs. 2 RiStBV). Der Vorsitzende hat die Schöffen vor Beginn der Hauptverhandlung über den anstehenden Prozessgegenstand und die Person des Angeklagten und Zeugen zu informieren. Schöffen dürfen ihrem Urteil nur die Tatsachen zugrunde legen, die in der Hauptverhandlung erörtert wurden (Grundsatz der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit). Sie sollten sich unverständliche Vorgänge oder Fachbegriffe, z. B. eines Gutachtens, erläutern lassen. Es ist auch ihre Aufgabe, für ein transparentes und nachvollziehbares Verfahren zu sorgen. Bei Verständnisschwierigkeiten sollten sie den Vorsitzenden um eine Zwischenberatung bitten. Ihrem Anliegen hat der Vorsitzende bei der nächsten sich bietenden Möglichkeit nachzukommen.

b. Schöffen müssen Zugang zu allen für die Urteilsfindung erforderlichen Informationen haben. Sie können die Akten (in bestimmten Teilen) als Arbeitsmaterial nutzen. Der Bundesgerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte haben entschieden, dass es der gleichberechtigten Stellung der Schöffen grundsätzlich widerspricht, sie von jeglicher Aktenkenntnis auszuschließen.2 In Verfahren mit mehreren Angeklagten oder Zeugen oder umfangreichen bzw. schwierigen Anklagepunkten soll ihnen der Anklagesatz, der vom Staatsanwalt verlesen wird, ausgehändigt werden (Nr. 126 Abs. 3 RiStBV), damit sie den Überblick behalten und Angeklagte und Zeugen mit Namen anreden können. In Berufungsverfahren tritt das erstinstanzliche Urteil an die Stelle des Anklagesatzes.

Abb. 2

Der Vorsitzende leitet die Beweisaufnahme und hat ein Vernehmungskonzept. Schöffen können (ergänzende) Fragen an Angeklagte, Zeugen und Sachverständige stellen, wenn sie an der Reihe sind, d. h. ihnen vom Vorsitzenden das Wort erteilt wird. Das Fragerecht folgt aus ihrer grundsätzlichen Gleichstellung und aus einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung (§ 240 Abs. 2 StPO). Die Fragen müssen sich auf den Prozessgegenstand (Tatsachen) beziehen und zur Sachaufklärung geeignet sein. Ungeeignete oder nicht zur Sache gehörende Fragen kann der Vorsitzende zurückweisen (§ 241 Abs. 2 StPO). Wenn der Schöffe sich an die Regeln der Fragetechnik hält, muss ein Vorsitzender nicht befürchten, der Schöffe setze sich der Gefahr eines Befangenheitsantrages aus.
Junge Zeugen unter 18 Jahren sollen vor den psychischen Belastungen einer Vernehmung bewahrt und allein durch den Vorsitzenden vernommen werden (§ 241a Abs. 1 StPO). Die Schöffen können aber vom Vorsitzenden verlangen, dass er nach seiner Vernehmung bestimmte Fragen an den jungen Zeugen richtet. Er kann auch die direkte Befragung zulassen, wenn kein Nachteil für das Wohl des Kindes bzw. Jugendlichen zu befürchten ist (§ 241a Abs. 1 StPO).

Wichtige Frageformen:

  • Offene Fragen – sog. W-Fragen (beginnen mit einem Fragewort: wann, warum, was, wer, weshalb, wie, wo, wohin) – eignen sich besonders zur Gewinnung von umfassenden Informationen, da sie dem Befragten einen großen Spielraum für die Antwort lassen.
  • Geschlossene Fragen lassen nur kurze, einsilbige Antworten zu, sodass dem Befragten nur die Wahl zwischen Zustimmung oder Verneinung (Ja, Nein) bleibt.
  • Alternativfragen engen die Antwortmöglichkeiten des Befragten ein und schließen andere Möglichkeiten aus. Daher ist auch immer eine offene Alternative anzubieten.
  • Suggestivfragen sollen vermieden werden, da sie den Befragten durch die Art und Weise der Fragestellung beeinflussen.

Regeln der Fragetechnik kurzgefasst:

  • In kurzen, einfachen Sätzen fragen (höchstens ein Nebensatz).
  • Nicht mehr als eine Frage gleichzeitig stellen.
  • Fragen neutral stellen, ohne Wertungen, Vermutungen oder Vorwürfe.
  • Fragen eindeutig formulieren, keine doppelten Verneinungen verwenden.
  • Den Sprachhorizont des Befragten berücksichtigen und in allgemein verständlichem Deutsch fragen, Fachsprache vermeiden.

Im Strafprozess müssen alle Beweismittel grundsätzlich in öffentlicher Hauptverhandlung erhoben werden. Urkunden oder andere schriftliche Unterlagen als Beweismittel werden durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt. Zur Beschleunigung können die Urkunden auch durch selbstständiges Lesen außerhalb der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis genommen werden (§ 249 Abs. 2 StPO). Der Vorsitzende stellt die in die Beweisaufnahme einzuführenden Akten(teile) zusammen und ordnet das Selbstleseverfahren an. Eine kommentarlose Übergabe von Tausenden Blatt der Akten genügt nicht den Anforderungen an die Selbstleseanordnung.3 Dem Anordnungsbeschluss muss zu entnehmen sein, welche Teile der Akten für die Beweisführung von Bedeutung sind. Diese müssen genau bezeichnet und identifizierbar sein. Auch Schöffen müssen diese Schriftstücke lesen und einordnen können. Die Kenntnisnahme wird vom Vorsitzenden festgestellt und zu Protokoll genommen. Die Zeit für das Selbstlesen wird entschädigt.

Der Vorsitzende leitet die Verhandlung (§ 238 StPO). Wird ein Verfahrensbeteiligter durch eine Maßnahme der Verhandlungsleitung „beschwert“ (d. h. wirkt sich nachteilig auf ihn aus), kann von diesem die Entscheidung des Gerichts beantragt werden. Über die Rechtmäßigkeit der Maßnahme entscheiden die Schöffen als Mitglieder des Gerichts mit, z. B. ob die vom Vorsitzenden beanstandete Frage zulässig ist.

Das Gericht hat von Amts wegen den wahren Sachverhalt festzustellen (§ 244 Abs. 2 StPO). Tatsachen, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, bedürfen des Beweises. Über Beweisanträge der Staatsanwaltschaft oder der Verteidigung entscheiden die Schöffen mit. Einfluss auf die Beweisaufnahme können sie auch durch eigene Beweisanregungen im Rahmen der Beratung nehmen, z. B. Vernehmung eines weiteren Zeugen. Dazu müssen sie keinen förmlichen Beweisantrag stellen.

Werden Erörterungen über den Stand des Verfahrens (§ 257b StPO) mit Staatsanwaltschaft und Verteidigung unter der Leitung des Vorsitzenden durchgeführt, haben nicht nur die Juristen daran teilzunehmen. Auch die Schöffen müssen über Stand und weiteren Fortgang der Hauptverhandlung aus erster Hand informiert sein, zumal diese Erörterungen häufig der Vorbereitung einer Verständigung dienen.

Die StPO sieht vor, dass sich das Gericht mit den Verfahrensbeteiligten über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen kann (§ 257c StPO). Die Verständigung kommt zustande, indem das Gericht den Beteiligten einen Vorschlag unterbreitet, zu dem sie Stellung nehmen können. Inhalt ist zumeist die Zusage einer Strafmilderung gegen die Abgabe eines (Teil-)Geständnisses. Die Verständigung muss in der Hauptverhandlung erfolgen. Schöffen sollten darauf achten, dass die grundlegenden Verfahrensprinzipien, z. B. ihre Beteiligung an den Gesprächen, bei einer solchen Abkürzung der Beweisaufnahme nicht ausgehebelt werden.4 Über eine Verständigung muss – wie bei der Abstimmung über Schuld und Rechtsfolgen – mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Gerichts entschieden werden.

Wichtigste Aufgabe der Schöffen ist die Mitwirkung an Urteil und Einstellung des Verfahrens und allen damit verbundenen Fragen. Bevor Entscheidungen getroffen werden, zieht sich das Gericht zur Beratung zurück. In der Regel steht dazu ein an den Gerichtssaal angeschlossenes Beratungszimmer zur Verfügung. Die Beratung ist geheim und wird vom Vorsitzenden geleitet (§ 194 GVG). An der Beratung dürfen nur die zur Entscheidung berufenen Richter (also nicht die Ergänzungsschöffen) und bestimmte weitere Personen teilnehmen wie Referendare zur juristischen Ausbildung und beim Gericht beschäftigte wissenschaftliche Hilfskräfte (§ 193 Abs. 1 GVG).

Im Anschluss an die Beratung wird über die einzelnen Teile des Urteils abgestimmt (§ 196 GVG). Jede Entscheidung des Gerichts bedarf der erforderlichen Mehrheit. Das ist im Grundsatz die absolute Mehrheit, es sei denn, im Gesetz ist eine andere „erforderliche“ Mehrheit geregelt. Reine Verfahrensfragen (Beweisanträge, Ordnungsmittel, Vereidigung usw.) werden mit absoluter Mehrheit entschieden; bei einem Patt in 2:2 besetzten Gerichten gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag (§ 196 Abs. 4 GVG). Schöffen müssen sich zu allen Entscheidungen eine eigene Meinung bilden und an den Abstimmungen teilnehmen; Stimmenthaltung ist nicht zulässig. Haben sie Zweifel, müssen sie sich der für den Angeklagten günstigsten Variante anschließen.

Über alle Entscheidungen zum Nachteil des Angeklagten, die die Schuld (Nachweis der Tat, Verurteilung) und die Rechtsfolgen (Strafe, Maßregeln der Besserung und Sicherung, Nebenstrafen und -folgen) betreffen, ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich (§ 263 Abs. 1 StPO). Im Schöffen- und Jugendschöffengericht sowie der Kleinen Strafkammer in der Besetzung mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen können die Berufsrichter folglich in allen Fragen überstimmt werden. In den Spruchkörpern, die mit zwei oder drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt sind, kann gegen beide Schöffen keine Verurteilung erfolgen. Hier haben die Schöffen insoweit eine „Sperrminorität“ zugunsten des Angeklagten.

Das Gesetz regelt die Berechnungsmethode, wie bei mehr als zwei Meinungen – in der Regel über die Frage der Strafhöhe – eine Zwei-Drittel-Mehrheit festgestellt wird (§ 196 Abs. 3 GVG). Beginnend bei der höchsten Strafe werden die Stimmen jeweils der nächstmilderen Strafe hinzugerechnet, bis auf eine Strafhöhe die Zwei-Drittel-Mehrheit entfällt. Wer bei einer Abstimmung unterlegen ist, muss bei seiner folgenden Abstimmung von der Position der Mehrheit ausgehen (§ 195 GVG). Die Reihenfolge der Stimmabgabe ist gesetzlich geregelt (§ 197 GVG). Die Schöffen sollen zuerst – unbeeinflusst von den Berufsrichtern – abstimmen. Wenn einer der Berufsrichter als Berichterstatter bestellt ist, stimmt dieser zuerst.

  1. Beim Zugang zum Gericht sollte die Ladung bereitgehalten werden, um sich ausweisen zu können und nicht in der Schlange bei der Einlasskontrolle oder der Sicherheitsschleuse warten zu müssen. Rechtsanwälte, Richter und Justizpersonal werden in der Regel durch einen gesonderten Eingang eingelassen. Häufig erhalten Schöffen schon bei der Benachrichtigung über die Wahl einen Ausweis, der ein zügiges Betreten des Gerichtsgebäudes ermöglicht und auch zur Nutzung von Kantine und Bibliothek (wie Justizangehörige) berechtigt.
  2. Je nach räumlicher Gestaltung können Schöffen vor der Hauptverhandlung entweder direkt das Beratungszimmer aufsuchen oder warten, dass der Gerichtssaal aufgeschlossen wird. Schöffen mit eingeschränkter Mobilität sollten sich über die Barrierefreiheit im Gerichtsgebäude informieren (Zugang, Aufzug, Toilette).
  3. Die Schöffengeschäftsstelle ist erster organisatorischer Ansprechpartner für die Schöffen. Die Kontaktdaten sind der Benachrichtigung über die Wahl oder den Ladungsschreiben zu entnehmen.
  4. Die Namen der an der Hauptverhandlung mitwirkenden Schöffen dürfen bekannt gegeben werden (z. B. durch Information vor dem Gerichtssaal über die anstehende Hauptverhandlung). Auch die Medien haben Anspruch auf Auskunft über die an einem Strafverfahren mitwirkenden Schöffen. Bei der Überlassung von Urteilsabschriften an Journalisten dürfen die Namen der Schöffen nicht anonymisiert (geschwärzt) werden.5
  5. Das Prinzip der Öffentlichkeit des Verfahrens besteht auch darin, Gerichtsverfahren in einem demokratischen Rechtsstaat öffentlich zugänglich zu machen. Ton-, Film- und Fernsehaufnahmen während der Hauptverhandlung sind von Gesetzes wegen zwar nicht erlaubt (§ 169 GVG), lassen sich aber z. B. bei aufsehenerregenden Strafprozessen vor Beginn oder nach der Hauptverhandlung nicht völlig verhindern. Hierbei sind das Persönlichkeitsrecht der Verfahrensbeteiligten und das Grundrecht auf Pressefreiheit abzuwägen. Nach einem Beschluss des OLG Hamburg „darf grundsätzlich erwartet werden, dass sich der Schöffe den mit seiner Funktion verbundenen Erwartungen auch bei Mitwirkung an von der Öffentlichkeit beachteten Verfahren gewachsen zeigen wird, selbst wenn Medien darüber Bilder verbreiten“.6
  6. Für Notizen als Gedächtnisstütze oder für spätere Nachfragen sollte Schreibzeug mitgenommen werden. Die Benutzung mobiler digitaler Geräte (Smartphone, Notebook usw.) könnte problematisch sein und sollte mit dem Vorsitzenden abgesprochen werden. Der Schöffe sollte alles vermeiden, was seine Aufmerksamkeit beeinträchtigt und eine Befangenheit begründen könnte. Dazu gehören die Recherche im Internet oder das Verschicken von E-Mails, z. B. zur Organisation der Kinderbetreuung.
  7. In einigen Bundesländern (Berlin, Brandenburg, Thüringen) sind zu Beginn der Amtsperiode Vertretungen zu wählen, die die Interessen der Schöffen gegenüber der Gerichtsverwaltung wahrnehmen.
  8. Bei besonderen psychischen Belastungen im Zusammenhang mit dem Amt stellen einige Justizverwaltungen Unterstützungs- und Beratungsangebote zur Verfügung (z. B. Sozialberatung der Berliner Justiz, Niedersächsisches Justizministerium).
  9. In der Hauptverhandlung ist die Anrede mit der Funktionsbezeichnung (Vorsitzender, Staatsanwalt, Verteidiger) nur üblich, wenn die Stellung im Verfahren angesprochen wird. Ansonsten erfolgt die Anrede mit dem bürgerlichen Namen (Frau/Herr).
  10. Kleidervorschriften für Schöffen gibt es nicht, verstehen sich aber von selbst. Die Bekleidung sollte angemessen sein und erkennen lassen, dass sie sich der Verantwortung bewusst sind, mit dem Urteil ggf. in die Grundrechte der Angeklagten einzugreifen. Kleidungsstücke oder Accessoires sollten neutral sein und keine religiöse, weltanschauliche oder politische Auffassung zum Ausdruck bringen. In einigen Bundesländern ist dies auch gesetzlich geregelt (z. B. im Justizneutralitätsgesetz NRW).

Zitiervorschlag: Ursula Sens, Basiswissen für den Start ins Schöffenamt, in: LAIKOS Journal Online 2 (2024) Ausg. 1, S. 15-24.

  1. BGH, Beschluss vom 2.2.2021, Az.: 5 StR 400/20 [Abruf: 15.1.2024].[]
  2. BGH, Urteil vom 26.3.1997, Az.: 3 StR 421/96 (Überlassung von Tonbandprotokollen an Schöffen zum besseren Verständnis der Beweisaufnahme); EGMR, Urteil vom 12.6.2008, Az.: 26771/03 (Unparteilichkeit von Schöffen nach Kenntnisnahme von der Anklageschrift) [Abruf: 15.1.2024].[]
  3. BGH, Beschluss vom 8.2.2022, Az.: 5 StR 243/21, LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 2, S. 72-73.[]
  4. Vgl. Benedikt Iberl/Jörg Kinzig, Die Rolle der Schöffen bei Absprachen im Strafprozess, Baden-Baden 2023.[]
  5. BVerwG, Urteil vom 1.10.2014, Az.: 6 C 35.13 [Abruf: 15.1.2024].[]
  6. Beschluss vom 12.9.2018, Az.: 1 Ws 71/18, Rn. 30 [Abruf: 15.1.2024].[]

Über die Autoren

  • Ursula Sens

    Geschäftsführerin PariJus gGmbH, 1994–2018 Vorsitzende Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen – Bund ehrenamtlicher Richterinnen und Richter – Landesverband NRW e. V., 1995–2022, Heft 1 Mitarbeit Redaktion „Richter ohne Robe“

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