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B. Iberl; J. Kinzig: Die Rolle der Schöffen bei Absprachen im Strafprozess

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Benedikt Iberl; Jörg Kinzig: Die Rolle der Schöffen bei Absprachen im Strafprozess. Ergebnisse einer Befragung von knapp 9.000 Laienrichtern. Baden-Baden: Nomos-Verl.-Ges. 2023. 175 S. Print-Ausg.: ISBN 978-3-7560-0632-8, € 54,00; E-Book (kostenfrei) DOI: doi.org/10.5771/9783748942634

1. Vorgeschichte: Die vom BVerfG festgelegten Leitlinien zum verfassungskonformen Umgang mit der Verständigung im Strafverfahren haben sich zu einer Messlatte rechtsstaatlichen Verhaltens insbesondere von Richtern und Staatsanwälten entwickelt. 2013 befand das Gericht, dass das Verständigungsgesetz verfassungskonform, der Gesetzgeber aber dazu verpflichtet sei, die Einhaltung der Regelungen zu kontrollieren.1 2020 gab das Bundesjustizministerium die Studie in Auftrag, in der Altenhain/Jahn/Kinzig2 zu dem wenig überraschenden Ergebnis kamen, dass nach wie vor informelle (rechtswidrige) Absprachen keine Seltenheit sind. Bisherige Studien hatten die Berufsjuristen im Auge; Schöffen wurden eher beiläufig erwähnt. Die vorliegende Studie zur Rolle der Schöffen bei der Verständigung hat ein bipolares Ergebnis. Zum einen werden sie – insbesondere von den vorrangig verantwortlichen Richtern – häufig übergangen, manchmal sogar getäuscht. Zum anderen nehmen sie vieles hin, ohne zu hinterfragen, weil sie über keine Kenntnisse verfügen.

Eine einleitende Literaturübersicht verdeutlicht die Einschätzung, dass Schöffen bei Verständigungen eine eher untergeordnete Rolle spielen. Der Bonner Strafrechts-Professor (em.) Paeffgen beschreibt eine „erbärmliche Rolle der Laienrichter“, die „endgültig und offiziell“ zu dekorativen, aber marginalisierbaren „Gerichtsbeischläfern“ gemacht würden.3 Richter am BGH Eschelbach4 – ebenso wie Prof. Rönnau (Bucerius Law School)5halten die Verständigung für bedenklich und zweifeln, dass im Beratungszimmer den Schöffen erteilte Informationen und Belehrungen ausreichend seien, um hinreichend Aufschluss über die Verfahrensgrundlagen zu geben. Rönnau empfiehlt daher ausführlichere Informationen für die Schöffen über die Verfahren zur besseren Entscheidungsgrundlage. Der Berliner Rechtsanwalt König sieht die Schöffen in die Rolle der „Abnicker“ gedrängt.6

2. Zur Verständigung: Die Untersuchung umfasst zwei verschiedene Komplexe: Zum einen werden rund 9.000 Schöffen zu ihren generellen Erfahrungen im Schöffenamt befragt, danach speziell zur Verständigung. Die Befragung erfolgte in 30 Fragenkomplexen online. Zur Verständigung bestätigen die Antworten die Befürchtung, nach denen Schöffen bei Absprachen vor vollendete Tatsachen gestellt werden und zwischen den Berufsjuristen vorab getroffene Vereinbarungen eher „abnicken“, als tatsächlich Einfluss auf den Vorgang zu nehmen. Allerdings sind die Einschätzungen der Schöffen über sich selbst positiver als die oben zitierten, teils drastischen Formulierungen. 6.356 der Befragten hatten Kenntnis von Absprachen in ihren Verfahren, davon hatten 4.797 (= 75 %) an mindestens einem Verfahren aktiv teilgenommen. Bezogen auf die Zahl der Verfahren wurden Schöffen an zwei Dritteln dieser Verfahren beteiligt (Verhältnis der unter Beteiligung stattfindenden Absprachen zur Gesamtzahl der mitgeteilten Absprachen). Zur Kontrolle dieser Aussage muss man diese Zahlen zu anderen Bedingungen in Beziehung setzen. So waren über 80 % der Teilnehmer der Ansicht, auch ohne Kenntnis der Akten über die wichtigsten Inhalte des jeweiligen Strafverfahrens im Bilde zu sein. In den typisch verständigungsgeneigten Verfahren (z. B. mit mehreren Angeklagten oder vielen Taten) dürfte ohne rudimentäre schriftliche Daten die Zuordnung von Aussagen zum jeweiligen Angeklagten oder zur konkreten Tat schwierig sein. Die Beurteilung einer Verständigung und der Überprüfung auf ein ihr nur halbwegs entsprechendes Geständnis dürfte nach bloßem Vortrag der Berufsrichter einigermaßen schwierig sein. Ob die qualifizierte Beteiligung an der Verständigung nicht oft bloßes „Dabeisein“ ist, lässt sich den Angaben nicht entnehmen. In die Beurteilung ist einzubeziehen – so auch die Autoren –, dass die Schöffen zum Teil ihre Ausgrenzung unterschätzen dürften, sodass die effektive Quote einer substanziellen Ausgrenzung höher sein könnte. Zu verifizieren ist diese Annahme nur durch ergänzende Interviews, in denen Motivation und Gehalt der Antwort überprüft werden können. Die Grenzen einer Nur-Befragung werden hier sichtbar.

Rund zwei Drittel der Schöffen berichteten, nie von einer Absprache ausgeschlossen worden zu sein, wenn sie vor Ort waren. Ein Drittel meinte dagegen, bei allen Absprachen ihres jeweiligen Spruchkörpers nicht aktiv beteiligt gewesen zu sein. Über die Frage, ob dieses Verhältnis günstig ist oder nicht, muss nicht diskutiert werden. Rechtspolitisch ist nur interessant, dass in einem Drittel der Verfahren (gemessen an der Einschätzung der Schöffen) die Berufsrichter sich nicht an das Gesetz (und die Rechtsprechung des BVerfG) halten. Damit liegen sie gemäßigt im Trend. Bei der erwähnten Studie von Altenhain/Jahn/Kinzig aus 2020 räumten 29,4 % der befragten Richter sowie 46,7 % bzw. 80,4 % der Staats- und Rechtsanwälte die Teilnahme an einer informellen – also rechtswidrigen – Verständigung ein. Einer differenzierten interviewbasierten Aufklärung bleibt vorbehalten zu klären, inwieweit bei einer im Vorfeld oder auf dem Gerichtsflur getroffenen Absprache die beteiligten Berufsjuristen diese schon als bindende „Absprache“ oder nur „erörternde Vorgespräche“ für eine nachfolgende gesetzeskonforme Verständigung verstanden haben. Als Ergebnis darf jedenfalls festgehalten werden, dass die Mahnungen des BVerfG auf eine rechtlich, auch verfassungsrechtlich, einwandfreie Handhabung dieses Instituts in der gesamten Praxis noch keine durchgängige Widerspiegelung erfahren haben.

3. Allgemeines zum Amt: Die Antworten zu den allgemeinen Erfahrungen der Schöffen in ihrer Amtsausübung fallen nach Auffassung der Autoren positiver aus als in der Literatur beschrieben. Das mag (auch) daran liegen, dass etliche Fragen zu diesem Komplex wertenden, nicht faktenbezogenen Charakter haben. So wird gefragt, ob man sich von Berufsrichter, Staatsanwalt oder Verteidiger wertgeschätzt fühle. Hier hängt die Art der Antwort nicht unwesentlich davon ab, mit welcher Erwartung an die eigene Rolle das Amt angetreten wird. Immerhin gaben über 12 % an, sich (eher) oft überflüssig gefühlt zu haben. Diese Zahl korrespondiert mit der Angabe von knapp 15 % der Teilnehmer, eine andere Meinung als die Berufsrichter gehabt zu haben. Interessant auch, dass knapp 30 % der Befragten die Urteile eher als zu milde und nur in 1,7 % als zu hart empfanden. Dabei spielte die Erfahrung im Amt keine Rolle. Die Zahlen erfahrener und unerfahrener Schöffen waren nahezu identisch. Regional stechen Berlin und Bremen heraus, wo der Anteil derer, die Urteile als zu milde empfinden, noch einmal deutlich höher ist als in den Flächenländern. Legt man das Alter als Kriterium zugrunde, lässt sich tendenziell die Formel finden: „Je jünger, desto härter.“ Hinsichtlich dieser Einstellung zur Strafhöhe konstatieren die Autoren einen Wandel gegenüber früheren Erhebungen.7 Hierauf wird zurückzukommen sein. Jedenfalls wird die Studie einen zentralen Platz in der künftigen Schöffenpolitik einnehmen. (hl)

Zitiervorschlag: Hasso Lieber, B. Iberl; J. Kinzig: Die Rolle der Schöffen bei Absprachen im Strafprozess [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 2, S. 87-88.

  1. BVerfG, Urteil vom 19.3.2013, Az.: 2 BvR 2628/10 u. a. [Abruf: 1.10.2023].[]
  2. Die Praxis der Verständigung im Strafprozess, 2020.[]
  3. In: SK-StPO, 5. Aufl., 2018, § 202a Rn. 31a.[]
  4. In: Graf, StPO, 4. Aufl., 2021, § 257c Rn. 58.1 und 21.1.[]
  5. Rönnau, Der Schöffe als „Marionette“ im Verständigungsverfahren, in: Festschrift für Reinhold Schlothauer zum 70. Geburtstag, 2018, S. 367 ff.[]
  6. Die Beteiligung von Schöffen an der Rechtsprechung aus der Sicht eines Strafverteidigers, in: Strafverteidigung im Rechtsstaat. 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins, 2009, S. 623, 629.[]
  7. Casper/Zeisel, Der Laienrichter im Strafprozess, 1979; Klausa, Ehrenamtliche Richter: Ihre Auswahl und Funktion, 1972; Rennig, Die Entscheidungsfindung durch Schöffen und Berufsrichter in rechtlicher und psychologischer Sicht, 1993, danach waren die Schöffen eher der Auffassung, die Urteile fielen (zu) hart aus.[]

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