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Reform des Sanktionenrechts

Von Hasso Lieber, Rechtsanwalt, PariJus gGmbH

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Am 22.6.2023 hat der Bundestag das „Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ beschlossen, das am 2.8.2023 verkündet1 wurde und am 1.10.2023 in Kraft getreten ist. Das Gesetz betrifft eine Reihe von Sanktionen vor allem im Strafgesetzbuch. Die wichtigsten Neuerungen und ihre Auswirkungen hier im Überblick.

1. Ersatzfreiheitsstrafe

Die sog. Ersatzfreiheitsstrafe für nicht bezahlte Geldstrafen (§ 43 StGB) wird vom Umrechnungsmodus 1:1 (ein Tagessatz Geldstrafe zu einem Tag Freiheitsstrafe) auf den Modus 2:1 (zwei Tagessätze Geldstrafe gleich ein Tag Freiheitsstrafe) umgestellt. Mit anderen Worten: Die Ersatzfreiheitstrafe wird halbiert.

Geldstrafe wird nach Anzahl und Höhe von Tagessätzen bemessen. Maßstab für die Anzahl (mindestens 5, höchstens 360 für eine Tat, 720 bei einer Gesamtgeldstrafe) ist die Schuld des Täters. Die Höhe entspricht einem Dreißigstel des einer Person im Monat zur Verfügung stehenden Nettoeinkommens (mindestens 1, höchstens 30.000 €); besondere Belastungen werden bei der Berechnung in Abzug gebracht (§ 40 StGB). Kann ein Verurteilter die Geldstrafe nicht zahlen, auch nicht in Raten, und ist eine Ableistung durch Sozialstunden nicht möglich, wird die Geldstrafe in Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt.

Die Ersatzfreiheitsstrafe trifft vor allem die Ärmsten und ohnehin Benachteiligten, die weder über Mittel zur Zahlung noch die Möglichkeit zu sozialer Arbeit verfügen. So berichtet die taz vom 15.3.2023 unter Berufung auf die Senatsverwaltung für Justiz in Berlin, dass 40 % der in Ersatzfreiheitsstrafe befindlichen Personen keinen festen Wohnsitz habe, ihre Arbeitslosenquote zwischen 60 und 85 % liege und viele massiv verschuldet, drogensüchtig oder psychisch krank sind.2 Wegen einer geringfügigen Tat landen sie schneller „im Knast“ als jemand, der wegen einer schwereren Straftat eine Freiheitsstrafe zur Bewährung erhalten hat. Zudem erfolgen die Verurteilungen überwiegend im Strafbefehlsverfahren, bei dem der Richter den Beschuldigten nie sieht, weil diese meist keinen Einspruch einlegen – sei es aus Mangel an Initiative, Geld oder Wissen. Die Halbierung soll diese Folgen mildern, kann sie jedoch nicht ganz beseitigen. Im Jahr kommen so ca. 56.000 Personen in eine JVA, was den Staat inzwischen über 200 Mio. €/Jahr kostet.3 Bestrebungen zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe konnten sich im Parlament nicht durchsetzen. § 40 Abs. 2 StGB wurde aber dahingehend ergänzt, „dass dem Täter mindestens das zum Leben unerlässliche Minimum seines Einkommens verbleibt“. Allerdings brauchen die Betroffenen noch etwas Geduld. Hinsichtlich der Ersatzfreiheitsstrafe ist das Inkrafttreten des Gesetzes am 16.8.2023 vom Bundestag auf den 1.2.2024 verschoben worden. Grund: Die Umstellung der Computersoftware in den Ländern dauert zu lange.

2. Strafzumessung

§ 46 regelt die Grundsätze der Strafzumessung und stellt in seinem Absatz 2 einige Kategorien von Motiven und Verhaltensweisen auf, die das Strafmaß beeinflussen, und erläutert diese durch Regelbeispiele. Die „menschenverachtenden“ Beweggründe und Ziele des Täters (rassistisch, fremdenfeindlich, antisemitisch) werden um „geschlechtsspezifische, gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Motive erweitert. Begründung ist die in den letzten Jahren gestiegene Zahl von Gewalttaten gegen Frauen in der Partnerschaft sowie Hassreden im Internet gegen lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Personen oder queere Menschen. Dennoch – so die Gesetzesbegründung – seien in der Rechtspraxis bei der Ahndung solcher Taten Defizite erkennbar. Der Strafrahmen wird nicht erhöht; die Rechtsprechung soll nur andere, gewichtigere rechtliche Maßstäbe bekommen. Hier wird künftig rechtstatsächlich zu beobachten sein, ob nicht durch die Hintertür Moralvorstellungen Einzug in das Strafrecht halten. Bewusste Handlungen gegen sozial benachteiligte Menschen (z. B. Obdachlose) finden in den „menschenverachtenden“ Regelbeispielen keine Erwähnung – vielleicht ist dieser Personenkreis nicht laut genug. Ein Gericht kann das Verhalten im Einzelfall zwar strafschärfend berücksichtigen; die Signalwirkung im Gesetz fehlt aber.

3. Auflagen und Weisungen bei Einstellung, Bewährung und Verwarnung

Der Gesetzentwurf weist in seiner Begründung darauf hin, dass Weisungen und Auflagen bei der Einstellung eines Verfahrens (§ 153a StPO), Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 c Abs. 2 StGB) und der Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59a Abs. 2 StGB) eine bedeutsame Rolle zur Resozialisierung des Täters spielen. Ziel der Maßnahmen ist, dass die verurteilte Person keine Straftat mehr begeht, weshalb ihre Lebensführung spezialpräventiv beeinflusst werden soll. Deshalb wurde bei allen drei Sanktionsarten die Möglichkeit der Weisung des Gerichts an den Verurteilten eingefügt, sich psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen (sog. Therapieweisung). Für die Verwarnung mit Strafvorbehalt wird zusätzlich die Möglichkeit einer Anweisung zur Erbringung gemeinnütziger Leistungen (Arbeitsauflage) geschaffen. Allerdings bedarf es dafür auch der Ausweitung praktischer Möglichkeiten zur Erfüllung der Auflage.

4. Maßregelvollzug

Die Suchtkliniken beklagen ihre Überlastung, weil drogen- oder alkoholabhängige Täter zu oft sofort untergebracht würden, anstatt suchtbekämpfende Maßnahmen im Vollzug zu etablieren. Die Zahl der in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) Untergebrachten ist in den letzten 25 Jahren um mehr als das Zwölffache gestiegen (von 373 Personen in 1995 auf 4.677 in 2020).4 Das Gesetz fasst die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt enger und passt die Anrechnungsmodalitäten für eine mögliche Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung an.


Zitiervorschlag: Hasso Lieber, Reform des Sanktionenrechts, in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 2, S. 70-71.

  1. BGBl I 2023, Nr. 203 [Abruf: 1.10.2023].[]
  2. Marie Frank, Freifahrtschein aus dem Knast, taz vom 15.3.2023 [Abruf: 1.10.2023].[]
  3. Zu den Zahlen vgl. Peggy Fiebig, Wie Geldstrafen zu Gefängnis führen können, Deutschlandfunk vom 12.10.2022 [Abruf: 1.10.2023].[]
  4. Abschlussbericht der Bund-Länder Arbeitsgruppe zur Prüfung des Novellierungsbedarfs zum Recht zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB vom 13.1.2022.[]

Über die Autoren

  • Hasso Lieber

    Geschäftsführender Gesellschafter PariJus gGmbH, Rechtsanwalt, Staatssekretär a. D., Generalsekretär European Network of Associations of Lay Judges, 1993–2017 Vorsitzender Bundesverband ehrenamtlicher Richterinnen und Richter e. V., 1989–2022, Heft 1 Redaktionsleitung „Richter ohne Robe“

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