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M. Hädrich: Die Anwendbarkeit der Bewährungsvorschriften gemäß §§ 56 ff. StGB auf die Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB

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Marie Hädrich: Die Anwendbarkeit der Bewährungsvorschriften gemäß §§ 56 ff. StGB auf die Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB. Eine Untersuchung zur Rechtsnatur der Ersatzfreiheitsstrafe im Besonderen. Berlin: Duncker & Humblot 2022. 250 S. (Schriften zum Strafrecht; Bd. 398) Print-Ausg.: ISBN 978-3-428-18410-1 € 69,90; E-Book: € 69,90

Die Ersatzfreiheitsstrafe bewegt – immer mal wieder – die Rechtspolitik. Zu mehr als kosmetischen Reparaturen vermag sich die Diskussion aber nicht durchzuringen. Seit Jahrzehnten ist die Tatsache bekannt, dass man als zu einer Geldstrafe Verurteilter eher im Strafvollzug landet als jemand, der – wegen einer schwerer wiegenden Tat – zu Freiheitsstrafe unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt wurde. Diese Problematik greift die Autorin in ihrer Dissertation auf. Das Kernproblem der Geldstrafe ist die Bemessung der Höhe eines Tagessatzes, der oft von den Gerichten zu hoch angesetzt wird, insbesondere bei wirtschaftlich schwachen Personen wie Insolventen oder Beziehern von Transferleistungen nach dem SGB II, wenn das Gericht auf ein empfindliches Strafübel für den Verurteilten abstellt. Die Geldstrafe trifft damit den Täter mit geringer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit härter als den gut situierten. Die Ersatzfreiheitsstrafe wird so zu einer sozial ungerechten Sanktion, die der Leiter der JVA Plötzensee in Berlin Meyer-Odewald in drastischer, aber zutreffender Weise so beschreibt: „Die Elenden der Stadt kippt man uns vor die Tür. Menschen, zu denen der Gesellschaft nichts mehr einfällt.“ Das Problem wird auch durch den Vorschlag von Bundesjustizminister Buschmann (jetzt in Übereinstimmung mit Bundesinnenministerin Faeser) nicht beseitigt, nicht einmal wesentlich gelindert, wenn das Umrechnungsverhältnis der Tagessätze in Freiheitsstrafe von 1:1 in 2 (Tagessätze) zu 1 (Tag Freiheitsstrafe) geändert wird. Auch den Vorschlag der Links-Partei, die Ersatzfreiheitsstrafe ersatzlos abzuschaffen, beurteilt die Autorin skeptisch, weil dies nicht nur Zahlungsunfähige, sondern auch Zahlungsunwillige bevorzugen würde. Als Mittelweg arbeitet sie die Möglichkeit heraus, die Ersatzfreiheitsstrafe ebenso wie die normale Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen zu können. Die zentrale Frage, die dabei systematisch zu klären ist, ist die nach der Natur der Ersatzfreiheitsstrafe: Ist sie echte Freiheitsstrafe oder eher ein Zwangsmittel für die Zahlung? Richtigerweise stellt die Autorin bei der Entscheidung dieser Frage stärker auf die tatsächliche Wirkung der Freiheitsentziehung ab als auf die Einordnung in die dogmatisch komplexe – teils auch widersprüchliche – Systematik des Strafensystems im StGB. Ergänzend weist sie auf die Lösungen europäischer Nachbarn wie Österreich oder Schweden hin, die eine andere Zielsetzung verfolgen: Die Ersatzfreiheitsstrafe soll nicht den Zahlungsunfähigen, sondern ausschließlich den Zahlungsunwilligen treffen. Ihr Vorschlag umfasst eine vierstufige Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe:

  1. Zahlung der Geldstrafe oder Ableistung freier Arbeit;
  2. Aussetzung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe unter Auflagen und Weisungen (§§ 56 ff. StGB);
  3. bei Widerruf der Bewährung (§ 56f StGB) Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe oder deren Unterbleiben bei unbilliger Härte für den Verurteilten (§ 459f StPO);
  4. Aussetzung des Restes der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe nach der Hälfte oder zwei Dritteln der Zahlung (§ 57 StGB).

Dabei soll die jeweilige Entscheidung dem Richter vorbehalten bleiben und nicht von dem mit der Vollstreckung des Urteils befassten Rechtspfleger getroffen werden. Dieser Vorschlag entspricht dem Ultima-Ratio-Prinzip der Freiheitsstrafe ebenso wie dem Gerechtigkeitsgefühl, dass jeder nach der aus seiner Tat entspringenden Schuld bestraft wird und nicht nach seiner wirtschaftlichen Situation, in der er sich (verschuldet oder unverschuldet) befindet. Dabei sind ökonomische Aspekte wie der, dass ein nicht bezahlter Tagessatz von 5 € den Staat 150 € pro Hafttag kostet, noch nicht einmal einbezogen. Die Arbeit sei dem Gesetzgeber zur Lektüre empfohlen, bevor die nächste, ebenso unsystematische wie unter Gerechtigkeitsaspekten erfolglose Lösung des Problems angesteuert wird. (hl)

Zitiervorschlag: Hasso Lieber, M. Hädrich: Die Anwendbarkeit der Bewährungsvorschriften gemäß §§ 56 ff. StGB auf die Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 1, S. 41.

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