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LAG Berlin-Brandenburg: Amtsenthebung – grobe Amtspflichtverletzung

Auch das ungebührliche Verhalten eines ehrenamtlichen Richters in der mündlichen Verhandlung kann eine grobe Amtspflichtverletzung im Sinne von § 27 ArbGG darstellen. Handelt es sich nicht um eine beharrliche, sondern um eine singuläre Pflichtverletzung, muss diese so gewichtig sein, dass ein weiteres Festhalten am ehrenamtlichen Richterverhältnis dem Ansehen der Rechtspflege entgegensteht. Ein einmaliges Lachen stellt nach diesen Grundsätzen keine grobe Pflichtverletzung dar.

Sachverhalt: Die Parteien stritten vor dem ArbG um die Abgabe einer „Konfliktmineraliendeklaration“ zum Bezug von Rohstoffen aus Konfliktregionen, wo Rohstoffe unter menschenrechtswidrigen Umständen wie Kinderarbeit gewonnen werden. Der Beklagtenvertreter (VB) erläuterte die Bedeutung der Deklaration und in welchem Zusammenhang diese abzugeben sei, wobei er sich der Metapher „Blutdiamanten“ bediente. Er beanstandete mehrfach, die Vorsitzende halte im Dialog keinen Blickkontakt mit ihm. Während eines längeren Austausches der Parteien lachte der ehrenamtliche Richter A. laut über die Ausführungen, was der VB als verletzend empfand und einen Befangenheitsantrag stellte, dem von der Kammer stattgegeben wurde. In seiner Stellungnahme äußerte sich der ehrenamtliche Richter, es habe mit dem „Blutdiamanten“ angefangen. Dann seien übertrieben wiederholte Anweisungen des VB an die Richterin ergangen ihn anzugucken, wenn sie mit ihm rede. Den Impuls zu lachen habe er anfänglich unterdrückt; als auch alle Anwälte und der Kläger gelacht hätten, sei es ihm nicht mehr gelungen, das Lachen zu unterdrücken.
Der VB meint in einer Beschwerde an die Präsidentin des ArbG, dass das Verhalten des ehrenamtlichen Richters eine verfassungswidrige Gesinnung wiedergebe und bat um Unterrichtung der zuständigen Stelle. Die informierte Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales beantragte beim LAG, den ehrenamtlichen Richter gemäß §§ 27, 21 Abs. 5 Satz 2 ArbGG des Amtes zu entheben, weil er seine Amtspflichten grob verletzt habe. Sie sei zwar nicht der Auffassung, dass der ehrenamtliche Richter eine verfassungswidrige Gesinnung offenbare. Jedoch habe er sich sowohl in der mündlichen Verhandlung als auch in der Stellungnahme unreflektiert und mit mangelnder Ernsthaftigkeit gegenüber dem Amt und mit fehlendem Respekt gegenüber dem Organ der Rechtspflege des Rechtsanwaltes gezeigt. Damit habe er ein Verhalten und ein Persönlichkeitsbild an den Tag gelegt, wonach er nicht in der Lage sei, seine richterlichen Pflichten zu erfüllen.

Rechtliche Würdigung: Der Antrag der nach §§ 27, 20 ArbGG zuständigen Stelle, den ehrenamtlichen Richter A. seines Amtes zu entheben, wird zurückgewiesen, weil eine grobe Amtspflichtverletzung im Sinne von § 27 Satz 1 ArbGG nicht vorliegt. Die Amtspflichtverletzung muss in ihrem Ausmaß nach objektiven wie subjektiven Gesichtspunkten eine grobe sein. Objektiv liegt dies vor, wenn es sich im konkreten Fall um einen schwerwiegenden Verstoß gegen eine Amtspflicht handelt, der es erforderlich macht, zur Wahrung des Ansehens der Rechtspflege den Richter seines Amtes zu entheben, z. B. bei der wiederholten Verletzung des Beratungsgeheimnisses, einer beständigen Verweigerung der Eidesleistung oder ungebührlichem Verhalten bei den Sitzungen. Es muss aber eine gewisse Beharrlichkeit der Pflichtverletzung vorliegen oder diese so gewichtig sein, dass ein Festhalten am ehrenamtlichen Richterverhältnis dem Ansehen der Rechtspflege entgegensteht.
Daran fehlt es hier. A. hat zwar im streitigen Verfahren gelacht, sowohl im Zusammenhang mit dem Begriff der „Blutdiamanten“ als auch mit der Forderung des VB, dass die Vorsitzende ihn anzusehen hätte. Allerdings ist unstrittig, dass auch vor dem Befangenheitsantrag nicht nur der ehrenamtliche Richter, sondern auch andere Verfahrensbeteiligte gelacht haben. Eine Beharrlichkeit der Pflichtverletzung oder gar verfassungsfeindliche Gesinnung kann die Kammer nicht erkennen. Die Prozesssituation war der Auslöser für das – pflichtwidrige – Lachen des ehrenamtlichen Richters und keine Ablehnung in Form eines Auslachens der berechtigten Forderung nach Deklaration der unter menschenunwürdigen Umständen gewonnenen Rohstoffe.

Anmerkung: „Blutdiamanten“ ist ein umgangssprachlich bildhafter Ausdruck für „Konfliktdiamanten“ nach dem Kimberley-Prozess, der den Handel mit Diamanten unterbinden soll, deren Gewinn der Finanzierung von Terrororganisationen, Kriegen und Aufständen dient. Diamantenindustrie, Export- und Importländer einigten sich 2003 auf ein Verfahren, wonach nur noch Diamanten in versiegelten Paketen und mit staatlichem Herkunftsnachweis exportiert, importiert und gehandelt werden dürfen. Für die EU gilt seit 2003 die „VO 2368/2002 zur Umsetzung des Zertifikationssystems des Kimberley-Prozesses“ (ABl 2002, L 358/28). Eine der Dramatik entsagende Erläuterung – verbunden mit durchschnittlicher mitteleuropäischer Höflichkeit auf der einen und eine sachliche Nachfrage auf der anderen Seite – hätten zur Entlastung der Justiz von überflüssigen Verfahren beigetragen. Der Hang zur Dramatik findet seine Fortsetzung in der Behauptung verfassungswidrigen Verhaltens, ohne dass deutlich würde, welcher Verfassungsgrundsatz verletzt worden sein soll. Auch wenn die zuständige Senatsverwaltung die Verfassungswidrigkeit verneint, lässt der Antrag, der die vom LAG gewürdigte Gesamtsituation außer Acht lässt, eine bedenkliche Distanz zur Bedeutung zivilgesellschaftlicher Beteiligung an der Rechtsprechung erkennen. Bereits der Antrag stellt einen Eingriff in die – wenn auch eingeschränkt – ehrenamtlichen Richtern zukommende personelle richterliche Unabhängigkeit dar, dem ein Abwägungsprozess vorauszugehen hat. Dessen Ergebnis („mangelnder Respekt vor dem Organ der Rechtspflege“) lässt angesichts des gleichen Verhaltens dieser Organe seinerseits mangelnden Respekt gegenüber dem richterlichen Ehrenamt erkennen. Gleichwohl sollte der Fall die Einsicht vermitteln, dass hinter dem Richtertisch größere Disziplin angesagt ist als davor. Allzu leicht mutiert eine scheinbar entspannte Situation zum Angriffsmittel gegen das Verfahrensergebnis. (hl)

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