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M. Strelitz: Der Zugang des Angeklagten zur Verständigung im Strafprozess

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Manuel Strelitz: Der Zugang des Angeklagten zur Verständigung im Strafprozess. Tatbestand und Rechtsfolge des § 257c Abs. 1 S. 1 StPO und seine Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz. Berlin: Duncker & Humblot 2022. 348 S. (Schriften zum Strafrecht; Bd. 387) Print-Ausg.: 978-3-428-18288-6, € 99,90; E-Book: € 99,90

Das Schrifttum über die Verständigung im Strafverfahren ist inzwischen Legion und erlebt im Gefolge der erneuten rechtstatsächlichen Analyse von Altenhain/Jahn/Kinzig1 neue Nahrung. Dabei ist schon die Bezeichnung dieses Verfahrensinstruments oft ideologiebehaftet, wie bereits der „Whistleblower“ dieses einstmals verdeckten Verhaltens, Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Joachim Weider2, vor über vier Jahrzehnten öffentlich machte. Der Verfasser der vorliegenden Dissertation fügt der Debatte mit seiner dezidierten Untersuchung einen in der Diskussion oft weniger beachteten Blickwinkel hinzu. Während sich der überwiegende Teil der Literatur inzwischen der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben widmet, sobald eine Verständigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung geschlossen wurde, wird in dieser Arbeit die Frage aufgeworfen, wie sich die „kritische Einstiegs- und Anbahnungsphase der Absprachen“ gestaltet. Richter, die die Verständigung als in der StPO systemfremd empfinden, werden die Initiative zu einer Verständigung gar nicht erst ergreifen. Gerichte, die vorrangig die Steigerung der Prozessökonomie im Auge haben, werden bei eindeutiger Beweislage mehrheitlich ebenfalls keine Verständigung – die nach der richtigen Erkenntnis des Verfassers inzwischen zum Strafzumessungsgrund mutiert ist – in Erwägung ziehen, da sie dem Gericht nach Zeit und Aufwand keinen Vorteil bietet. Auch die Richter, die der Verständigung aufgeschlossen gegenüberstehen, haben bei der Beantwortung der Fragen, ob der verhandelte Fall „geeignet“ im Sinne des § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO und die Rechtsfolge des Verständigungsangebotes „zweckmäßig“ ist, einen weiten Ermessensspielraum. Ermessensfehler – so der Autor – können mit der Revision angegriffen werden. Der Nachweis, ob die Weigerung eines Gerichts, ein Verständigungsgespräch zu führen, auf sachlichen Erwägungen oder einer Antipathie des Richters gegen einen Beteiligten beruht, dürfte gegenüber dem Revisionsgericht kaum nachweisbar sein.

Die Frage, ob diese Ausgestaltung der Verständigung dem Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 3 GG genügt, wird vom Verfasser eindeutig beantwortet. Die gegenwärtige gesetzliche Regelung führt zu einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung von Angeklagten, die schon im Gesetzeswortlaut angelegt ist. Der Angeklagte hat keinen Anspruch auf ein verständigungsbasiertes Verfahren. Er ist insoweit der Bereitschaft des Gerichts oder auch dem taktischen Verhalten von Staatsanwaltschaft und Gericht ausgeliefert.3 Der Verfasser bietet potenzielle Lösungsmöglichkeiten nach verschiedenen Richtungen an: das Erfordernis eines qualifizierten Geständnisses durch den Angeklagten, engere Strafrahmen oder Richtlinien für das Strafmaß nach dem Vorbild der amerikanischen Sentencing Guidelines. Diese leiden alle an demselben Mangel – sie stoßen (jedenfalls bislang) auf Ablehnung beim Gesetzgeber.

Die Dissertation arbeitet präzise grundlegende Probleme der Verständigung heraus. Das Verfahren kann allein seiner Strukturen wegen zur Waffe in der Hand der unterschiedlichen Beteiligten werden. Der Angeklagte, der es sich leisten kann, bietet bei unklarer Beweislage die Verständigung als Lösung für eine ansonsten „unendliche Geschichte“ der Beweisaufnahme an. Der Angeklagte, der es sich nicht leisten kann, ist bei unsicherer Beweislage der – unausgesprochenen – Drohung des Gerichts ausgesetzt, bei fehlendem Geständnis die Härte des Gesetzes fühlen zu müssen. Das kann man als Polemik empfinden oder in Umkehrung von Bertolt Brecht den Schluss ziehen: Die Verhältnisse sind eben so. (hl)

Zitiervorschlag: Hasso Lieber, M. Strelitz: Der Zugang des Angeklagten zur Verständigung im Strafprozess [Rezension], in: LAIKOS Journal Online 1 (2023) Ausg. 1, S. 40-41.

  1. Die Praxis der Verständigung im Strafprozess, Baden-Baden 2020; vgl. Rezension Lieber, RohR 2021, S. 12.[]
  2. Alias Detlef Deal aus Mauschelhausen, Strafverteidiger 1982, S. 545 ff.[]
  3. Vgl. dazu das drastische Beispiel von Heribert Prantl (ZEIT-Kursbuch 166), RohR 2009, S. 17.[]

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